Martin Fritz,
Bäder, Büchereien, Sport und Kultur: Zahlenspiele zum Jahresbeginn
Mehrere Anlässe führen zu diesem Text, wobei sich der Slogan, dass das Private das Politische ist, wieder einmal bewahrheitet. Privat führt das Leben mit Kindern zu einer Wiederentdeckung von kommunalen Infrastrukturen jenseits des Kunstbetriebs. Vor allem in Ferienzeiten ist es recht wahrscheinlich den Verfasser auch in Schwimmbädern, Eis- und Kletterhallen, Büchereien oder Parks zu finden. Zwar sind die Kleinen auch manchmal zu Museumsbesuchen motivierbar, jedoch steigt mittlerweile die Notwendigkeit von Zusatzanreizen á la: „Museum und Kuchen“ oder „Nur kurz, dann Park“. Fallweise übernehmen die Kinder nicht ungeschickt die institutionskritischen Reflexe ihres Vaters und erklären nur mehr in Museen gehen zu wollen, „in denen man alles angreifen darf“ und vereiteln damit präventiv jeden Kunstausstellungsbesuch. Im Vergleich dazu wird die lautstarke kindliche Vetokeule derzeit bei Stichworten wie „Bücherei“, „Schwimmen“ oder „Eislaufen“ seltener ausgepackt. Nachdem hier bereits an anderer Stelle das Loblied auf die Nutzungsqualitäten der Büchereien gesungen wurde, soll es heute um eine zahlenorientierte Betrachtung der erweiterten Freizeitinfrastruktur gehen. Zu den privaten Anknüpfungspunkten kommt die kommunalpolitische Aktualität, dass der Sport in Wien seit Neuestem in die Zuständigkeit des „Kulturstadtrats“ fällt, wobei es für Rathausexegeten noch offen bleibt, ob damit eine Auf- oder eine Abwertung des Sports verbunden wäre.
Kommunale Bewertungen finden sich nicht zuletzt in den dafür gewidmeten Budgets. Wir konnten im Rahmen dieser Kolumne bereits darüber berichten, dass in der früheren deutschen Hauptstadt Bonn zwei Bürgerbegehren formuliert wurden, die Sportstätten und Basiskultur gemeinsam gegen die Förderung der Oper in Stellung bringen wollten. Nun drückt sich in diesen Bürgerbegehren auch eine populistische Kunstfeindlichkeit aus, die ich in dieser Form nicht teile, dennoch war es interessant im Zuge der damaligen Recherchen herauszufinden, dass die städtischen Ausgaben für Sportplätze, Turnhallen und Sportförderung in Wien mit knapp 49 Millionen Euro unter der Basisabgeltung des Bundes für die Wiener Staatsoper (58 Millionen) liegen.
Eine deutliche Aufwertung von Bewegung und Freizeit bringt es mit sich, wenn man auch die Ausgaben für die städtischen Bäder (60 Millionen) und dann auch noch die Parks, Gartenanlagen und Kinderspielplätze in der Höhe von 104 Millionen Euro dazu nimmt. Wollte man auch Bildungsinfrastrukturen in den Vergleich einführen, könnte etwa das Budget für die städtischen Büchereien in der Höhe von knapp über 21 Millionen Euro oder jenes für „Volksbildung“ von 28 Millionen Euro herangezogen werden. (1) Versucht man also eine rein budgetäre Annäherung an die politische Wertigkeit einzelner Alltagsaktivitäten zeigt sich vorerst ein sorgsam abgewogener Mix, in dem dann die Gesamtsumme 2014 für Büchereien, Bäder, Volkshochschulen, Parks und Sport mit 264 Millionen Euro das Kulturbudget von 246 Millionen Euro doch übersteigt. Wer sich also mit Kindern in Wien außerhalb der Wohnung bewegt, nimmt einige öffentliche Investments in Anspruch – relativ unabhängig davon, ob es einen eher zur Kunst, zur Bewegung oder zur (Weiter)bildung drängt.
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die Kosten vergleicht, die eine Inanspruchnahme dieser Angebote mit sich bringt, wobei sofort dazu gesagt werden muss, dass unter bedrängten Bedingungen auch die günstigeren Angebote eine Hürde darstellen: Betriebe der öffentlichen Hand (oder Betriebe mit öffentlicher Beteiligung) finden sich auf allen Stufen der Preishierarchie: Der Bogen spannt sich von der Therme Wien, wo ein Besuch für zwei Erwachsene und zwei Kinder am Wochenende mit 82 Euro sogar noch teurer kommt als die Star Wars Ausstellung, über eine Mittelebene zwischen 35 bis 20 Euro (2) , auf der sich etwa die Kletterhalle Wien, die Eisstadthalle und ein Teil der Bundesmuseen finden, bis zu den günstigeren Angeboten, wobei aus der Sicht der Kultur positiv auffällt, dass im Bereich unter 20 Euro viele Kunstorte durchaus mit den Bädern und Indoorspielplätzen mithalten können, oder diese – bei fallweise freiem Eintritt – sogar unterbieten. Vertiefte man sich tiefer in diesen Vergleich drängt sich natürlich die Frage auf, warum etwa einer Kletterhalle, in der sich manchmal auch nur eine Handvoll Kraxler wiederfindet, jene Quotendiskussion erspart bleibt, gegen die sich der Kunstbetrieb immer öfter nur mehr mit vermeintlichen „Rennern“ zu wehren versucht.
Der zahlenorientierte Zugang dieses Texts sollte dazu dienen, eine weitere Einstiegsebene für die Gerechtigkeits- und Inklusionsdebatten anzuregen, die nun doch langsam auch im Bereich der Kultur Fahrt aufnehmen. Dabei zeigt der gewählte Zugang jedoch schnell, dass die Dinge durch einen Umstand verkompliziert werden, den man als „die Rache des erweiterten Kunstbegriffs“ bezeichnen könnte: In dem Ausmaß, in dem man sich für die Analyse und Kritik eines zeitgemäß erweiterten Kunstbegriffs bedient, verliert die Kritik einen Teil ihrer Schärfe, da dann leichter argumentiert werden kann, dass andere Angebote ausreichende Kompensation für die Teilhabedefizite des enger definierten Kunstbetriebs bieten würden. Auch die Debatte über die kulturelle Infrastruktur in der wachsenden Stadt hat mit dem Beschreibungsproblem zu kämpfen, dass die stadträumliche Verteilung dieser Infrastrukturen umso ausgeglichener wirkt, je weiter die Kulturbegriffe werden, die man der Analyse zu Grund legt. Ähnlich der Auswertung von Grünflächen und Freiräumen, in der jedes innerstädtische Defizit mit den Zonen am Stadtrand „verrechnet“ werden kann, müsste man nur alle Bäder, Sportstätten sowie die Bildungs- und Begegnungsorte zur „Kultur“ hinzuzählen, um einen weniger zentrumsfixierten Kulturstadtplan zeichnen zu können. Doch so ist es eben mit Analysen und Vergleichen: Beginnt man sie einmal, muss man sie auch weiterführen. In diesem Sinne: Ein gutes neues Jahr!
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(1) Alle Zahlen zum Budget der Stadt Wien zitiert nach:
Rechnungsabschluss der Stadt Wien 2014, Übersicht nach Ansätzen
(2)
Alle Preise für zwei Erwachsene und zwei Kinder an Wochenenden ohne Ermäßigungen.
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