Roland Schöny,
Aus der Endlosschleife der Sounds in die Fläche des Raums
Stets spielen Zahlen eine Rolle. Auf die eine wie die andere Art. Während mit dem Ausruf von Quote und Statistik noch im Sog der letzten Klänge offenbar der Erfolg des Waves Festival untermauert werden soll, ist es anderswo eher die Zahl der im gesamten Raum verteilt positionierten Speaker und die konzeptuelle Setzung der einzelnen Klänge zueinander. In Wien ließ dies an diesem Wochenende aufhorchen. Oft sind es nämlich die azyklisch zum großen Getöse ablaufenden, kleineren und dadurch konzentrierteren Reihen musikalischer Aufführungen, die neue Hörerfahrungen offenbaren. Damit konfrontieren sie ihr Publikum mit der Frage, was jetzt, was heute als zeitgenössisch gelten kann.
Engagiert, plausibel und letztlich gelungen lieferte "The ElectroAcoustik Project" im Semper Depot eine der möglichen Antworten darauf. Ausgerichtet von Thomas Gorbach beschreitet die Konzertreihe seit 2007 neue Wege der Aufführung elektronischer und elektroakustischer Musik. Die musikalische Avantgarde der Moderne weiter denkend, ermöglichen mehr als 30 im Saal verteilte Lautsprecher unterschiedlicher Bauart, welche über Mischpult individuell angesteuert werden, die raumspezifische Interpretation von Werken der elektronischen Musik.
An drei Abenden standen etwa Werke von Elisabeth Schimana, von Volkmar Klien oder Tamara Wilhelm auf dem Programm. Auch eine wunderbare Wiederbegegnung mit den "Moebius Sounds" von Hofstetter Kurt – als spatiales Hörerlebnis – zusammen mit einem synchron oder parallel annäherungsweise mit den Klängen verschalteten abstrakten Video "NOWHERE" von Barbara Doser stand auf dem Programm. Ähnlich wie die Performance und wie eben jedes Konzert ein erstehender und zugleich sich verflüchtigender Moment. In dieser Form nicht widerholbar.
In der künstlerischen Arbeit von Hofstetter Kurt ist genau diese Erfahrung eines der zentralen Motive. Die Ausdehnung von Raum und Zeit sowohl im individuellen Erleben wie auch als universelles mathematisches Prinzip ist eines seiner Hauptthemen. Dabei sucht Hofstetter nach Verfahren, das im Alltag zwar ständig aktuelle, aber kaum greifbare Phänomen des unentwegten Ablaufs und des Vergehens zeitlicher Einheiten abzubilden. PassantInnen des nicht mehr bestehenden Südbahnhofs in Wien haben die zwei computergesteuerte Augen (virtuell auf Bildschirmen) "Einen Augenblick Zeit" die dort seit 1994 nahe der Laufbänder zu den Bahnsteigen präsent waren, in Erinnerung. Ein männliches und ein weibliches Auge zwinkerten da einander tickend zu.
Neben seinen Projekten im öffentlichen Raum komponiert Hofstetter Kurt, der im übrigen auch mit Gary Danner zusammen gearbeitet hat, auf elektronischem Weg Möbius-Sounds, womit sich die Schleife schließt. Seine musikalischen Werke sind so aufgebaut, dass sie insgesamt und auch passagenweise vorwärts und rückwärts abgespielt nahezu ident klingen. Es handelt sich um musikalische Parallelfiguren zum Prinzip der unendlichen, geometrischen Möbius-Schleife. Wo es sich jedoch um scheinbar lineare Verläufe des vorwärts und rückwärts handelt, liegt nichts näher als den Sound auch räumlich auszuweiten. Live umgesetzt wurde das 4-sätzige Stück "ZART una cantata moebius / 2008" daher per Akusmonium, was bedeutet, dass das Stereosignal in der Aufführung akustisch auf einzelne Lautsprecher oder Lautsprechergruppen aufgeteilt wurde. Wenn sich die Klänge also flächig ausbreiten, sich überlagern, sich entlang der Tangente von Ambient-Music aufbauen, erscheint es fast zwingend, eine räumliche, immersive Form der Wahrnehmung zu generieren. Wo Parallelität und Kreislauf die zentrale Rolle spielen, folgt die spatiale Ausweitung.
Die Aufführung war ein weiterer Beweis für die forschende Konsequenz des Hofstetter Kurt, dessen künstlerische Arbeit weitgehend auf Raumvermessungen und damit in Zusammenhang stehenden mathematischen Operationen aufbaut. Wie jede wissenschaftlich künstlerische Herangehensweise hat auch diese Projektcharakter und ist auch nach dem deutlich merkbar langen Applaus im Anschluss an die Aufführung in Wien keineswegs abgeschlossen.
Das nächste elektroakustische Konzert ist für 26. Oktober im KUBUS des ZKM Karlsruhe als Teil der Ausstellung "Sound Art - Klang als Medium der Kunst" geplant. Darüber hinaus gibt es zur kompositorischen Arbeit von Hofstetter Kurt ein Buch mit CD bzw. eine empfehelnswerte CD, der auch ein Buch mit Texten von Thomas Mießgang, Bariaa Mourad, Gerald Alcyon Pío Fromm oder Peter Weibel beigegeben ist.
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Hofstetter Kurt : ZART una cantata moebius
Mit Beiträgen von Dieter Bogner, Werner Depauli-Schimanovich, Barbara Doser, Thomas Mießgang, Bariaa Mourad, Monika Pessler, Gerald Alcyon, Pío Fromm und Peter Weibel. Hg: Kiesler Stiftung Wien und Zwei Kongruent Null
Verlag: ediciones TRITON | Barcelona : Beirut : Vienna, 2010.
CD-book, 84 pages, Deutsch/Englisch, Hardcover, 17,5 x 21,5 cm, 16 Illustrations b/w.
ISBN 978-84-938482-0-0 (Triton Barcelona)
ISBN 3-85486-210-5 (Triton Viena)
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ZART - NOW -HERE - ein optoakustisches Perzeptions- und Rezeptionsexperiment von Barbara Doser und Hofstetter Kurt 2012
@ Sound Art - Klang als Medium der Kunst ZKM Kubus | 26. Oktober 2012, 20:00 | Lorenzstraße 19 | 76135 Karlsruhe
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