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Untitled (12th Istanbul Biennial) - Antrepo ground floor: Quadratur des Politischen

Der Einstieg in die 12. Istanbul Biennale überrascht am meisten. Gemäß der aus dem Werk von Félix González-Torres abgeleiteten Begriffe wie „Passport“ oder „History“ beginnt die Schau dem Alphabet nach mit „Untiteld / Abstraction“. Jeweils leitmotivisch ist den „group shows“ ein Werk von González-Torres vorangestellt. Ja und es ist klar: González-Torres lud formalistische Konzepte der Gegenwartskunst subversiv mit politischen Inhalten auf. Dahinter stand die Frage, wessen Ästetik zu welcher Zeit in welchem Interesse reüssiert. Die monochromen Farben rot, schwarz grün und weiß könnten wie ein Paradebeispiel des Purismus der Moderne daherkommen. González-Torres aber meinte die Farben der Flagge des israelischen Militärs, die in den Gebieten der Palästinenser nebeneinander gruppiert strikt verboten sind. Oder er griff die geometrische Form des Rasters auf und verwies damit – diagonal durchgestrichen – in „Untitled“ (Bloodwork / Steady Decline), 1994 auf den Ausschluss, bzw. die gesellschaftliche Stigmatisierung von mit AIDS Infizierten. Dieses Werk leitet das abstrakte Kapitel der Biennale ein. Trotzdem bleibt eine Portion Skepsis zurück, wenn man dann Charlotte Posenenske begegnet. Natürlich verweisen deren Skulpturen aus Blech oder Karton – wie hier – zurück auf den Alltag. Doch ob ihr minimalistischer Ansatz so sehr unter die politischen Paradigmen von González-Torres subsumiert werden können, ist fraglich. Das gleiche gilt für die geometrischen Skulpturen von Lygia Clark. Eventuell funktioniert die Verbindung, wenn man dem Zugang der Kuratoren folgt, die darauf verweisen, dass beide Künstlerinnen insofern ihr Publikum einbeziehen als sich durch Perspektivwechsel auch die Bedeutung verändert. Auch ein wunderbares, sehr sensibles Werk der israelischen Künstlerin Mona Hatoum hat dieses Sektion zu bieten: „Untitled (Hair Grid with Knots 6), 2003“. Ein Raster aus Haaren geflochten. Besser aber, die strengen Vorgaben des Biennale Übervaters Félix González-Torres wieder abzuwerfen, sie lediglich als assoziative Einstiegshilfe und das ganze Szenario überhaupt etwas lockerer zu nehmen. Dann wird das Speib- oder Müllsackerl der SAS, das Pedro Cabrita Reis als „Scandinavian“, 2001 ausstellt, zu einem ironischen oder zumindest mit Leichtigkeit daher kommenden Kommentar zum Thema Abstraktion; ebenso wie Gabriel Sierras Stillleben, arrangiert aus realem Obst „Untitled (Support for Math Class)“, 2007. Edward Krasinski, die deutsche Fotokünstlerin Anette Kelm oder Rivane Neuschwander kommen hier auch noch vor. In den Einzelpräsentationen, dann Dora Maurer, Renata Lucas, die große rumänische Künstlerin Geta Bratescu oder als VertreterInnen der jüngeren Generation aus dem gleichen Länder-Kontext das Duo Mona Vatamu & Florin Tudor. In ihrer Malerei beziehen sie sich auf jenen expressiven, sozial-realistischen Stil, der in Brasilien Neoconcretismo genannt wird. Sie malen Obdachlose, die Opfer der ökonomischen Veränderungen im Realsozialismus sind, und führen das Publikum in eine begehbare Installation, deren Wegführung durch VHS-Tapes bezeichnet ist. Eine Assoziation mit den Maßnahmen der Landverteilung an die arme Bevölkerung in Venezuela, wo die BewohnerInnen ihr Land ebenso abgrenzen. Allmählich ergibt sich eine andere Leseweise: fast trivial, doch offenbar didaktische Intention der beiden Kuratoren. Auch Übersetzungen gesellschaftspolitischer Themen unterliegen in der Kunst Strategien der Formalisierung. Wir sind am anderen Ende der Parabel angekommen.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Untitled (12th Istanbul Biennial) - Antrepo ground floor
17.09 - 13.11.2011

Istanbul Biennale
Istanbul,
http://14b.iksv.org


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