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Tactics of Invisibility: Auf den Spuren des Unsichtbaren

Natürlich fällt sofort auf, dass hier durchgehend Positionen türkischer Gegenwartskunst präsentiert werden. Und natürlich wäre es problematisch, sie plakativ als türkisch zu deklarieren, da nationale Herkunft oft nur mehr in Form von Sedimenten in der Biografie eine Rolle spielt. Einige KünstlerInnen der Ausstellung „Tactics of Invisibility“ von Thyssen-Bornemisza Art Contemporary in der Wiener Himmelpfortgasse leben gar nicht – oder nur zeitweise – in der Türkei. Und wenn diese Folie des „lebt und arbeitet“ eine Rolle spielt, dann ist zumeist Istanbul gemeint. Zugleich kann man nicht oft genug hervorstreichen, wie wichtig der Transfer zwischen der Türkei und den europäischen Kunstzentren ist. Der Revolver Verlag brachte dazu 2008 das großartige „USER´S MANUAL - Contemporary art in Turkey 1986-2006“ (hg. v. Halil Altindere, Süreyyya Evren) heraus. Insgesamt gewinnt der Diskurs in Wien leider nur zaghaft Präsenz. Umso bedeutender erscheint das Engagement von Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, T-B A21. Wie zu vernehmen ist, soll auch die Kooperation mit dem Berliner Projektraum Tanas, der von René Block betreut und von der Vehbi Koç Foundation unterstützt wird sowie mit dem neuen Kunstraum Arter in der zentralen Istiklal Caddesi im Stadtteil Beyoğlu in Istanbul erweitert werden. Jedenfalls wurde ein interessanter Zugang gewählt. Es ist eine Bestandsaufnahme entlang der Grenzlinien zum Ephemeren, kaum Greifbaren. Zum Beispiel dahin, wo im Trivialen Übergangsformen in Richtung Transzendenz materialisiert werden, wo Gebetsräume den Charakter von Baumarktästhetik annehmen. Das xurban_collective analysierte die visuelle Grammatik islamischer Gebetsräume als globale Sprache seriell gefertigter Zeichensetzungen. Ein religiös verbrämter International Style aus dem Baumarkt. Umgekehrt – fast komplett von aussen – zeigt Nasan Tur, islamische Gebetshäuser in westlichen Städten, deren Eingänge unscheinbar in gewöhnliche Wohnhäuser oder Höfe führen. Sie wirken als undefinierte „Nicht-Orte“, die Nasan Tur bedeutungsvoll codiert, indem er sie in Observationsästhetik auf Überwachungsbildschirmen präsentiert. Aus einer anderen Generation dagegen: Füsun Onur mit seiner aus fragmentarisch inszenierten Möbel- und Fundstücken des Alltagslebens bestehenden Installation „Dream of Old Furniture“. Aufladungen mit Bedeutung, die beinahe schon mythischen Charakter annehmen. Selbstverständlich ist die Wiederbegegnung mit Esra Ersens in Linz entstandener Schuluniform-Installation ebenso erwähnenswert wie die Erweiterung der Auseinandersetzung mit Oberflächen Ahmet Öğüts. Diesmal filmte er aus dem regulären Kriegs-Dienst genommene Flugzeuge der US-Army auf einem Stützpunkt in Arizona. Nur unschwer ist vorstellbar, welche Konnotationen die Assoziation „geisterhaft“ eröffnet, wenn, auf der Tonspur eine zählende Stimme zu hören ist. Was zählt sie? Kriegstote? Den Umfang der Waffenarsenale? Weiters vertreten etwa İnci Eviner, Nilbar Güreş, Hafriyat oder Ali Kazma. Dass auch Sound – als eine der diskursiv unterbelichteten, unsichtbaren Komponenten in Ausstellungsräumen – thematisiert wird, scheint naheliegend. Im Hof zum einen eine Soundinstallation von Cevdet Erek. Faszinierend zum anderen wie Ayşe Erkmen stets lokale Kontexte herausarbeitet: Von der Decke hängend weisse direktionale Lautsprecher, systematisch kombiniert mit Beleuchtungskörpern, die weisses Licht abgeben. Ein Ansatzpunkt heisst Beethoven, der hier zwei Piano Trios komponierte, die als „Geistertrios“ bekannt wurden, und die er wiederum Anna Maria Erdödy widmete. Nach Erdödy ist das Palais benannt, in dem sich nun Thyssen-Bornemisza Art Contemporary befindet. Erkmen bezieht sich auf Gerüchte, die von einem in den Räumen lebenden Geist eines Mädchens erzählen und transformierte daher einen Kanon in eine einzige Sopran-Stimme. Dies nun in einem – beziehungsreich – weiß ausgeleuchtetem Raum ... wo jede Situation künstlerischer Repräsentation – kaum aufgebaut – schon wieder im Verschwinden ist ... Bevor dieser Fall eintritt sollte man diese Ausstellung unbedingt besuchen. Und deren Ausläufer im Klaus Engelhorn Depot in Wien Ottakring.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Tactics of Invisibility
15.04 - 15.08.2010

Thyssen-Bornemisza Art Contemporary (alte Location)
1010 Wien, Himmelpfortgasse 13/9
Tel: + 43 1 513 98 56, Fax: + 43 1 513 98 56 22
Email: office@tba21.org
http://www.tba21.org
Öffnungszeiten: Di-So 12-18 h


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