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Istanbul Biennale: Zweigstelle Feriköy Rum Okulu: In der Schule der Weltkunde

Betont sachlich mit nur wenigen Tupfern von Ironie oder Auflockerung konzipierte das kroatische Kuratorinnenkollektiv WHW bestehend aus Ivet Curlin, Ana Devic, Nataša Ilic und Sabina Sabolovic die Istanbul Biennale in ihren Außenstellen. Hier knüpfen die Werke und Installationen an verschiedene Formen des Dokumentarischen an, wobei höchst unterschiedliche visuelle Strategien ins Spiel kommen. In der aufgelassenen Schule Feriköy Rum Okulu im nördlichen Stadtteil Sisli ganz knapp an einer Durchfahrtsstraße befindlich, wo Menschen und Autos sich in Zeitlupe aneinander vorüber schieben, spitzt sich dies in Annäherungen mit Methoden der Kartografie zu. Formal herausragend der Raum der Gruppe decolonizing.ps um den aus Haifa stammenden Eyal Weizmann. In schweren großformatigen Büchern wird mittels Fotografie und Zeichnung sowie an Hand von Landkarten, von Projektionen und einem Video die militärische Einschränkung palästinensischen Lebensraums thematisiert. Lado Darakhvelidze (GE(NL) dagegen beschreibt per Kreidzeichnung auf Schultafeln übertragenen Zeitungsausschnitten und Organigrammen die aktuelle Transformation der politischen Strukturen Georgiens im Netz internationaler Wirtschaftsbeziehungen. Im Zusammenhang mit der ebenfalls auf Mehoden der Geowissenschaft zurückgreifenden Recherchearbeit der Kooperative Société Réaliste, die alternative Aufzeichnungsverfahren zu Staatenbildung und Grenzziehungen im europäischen Raum entwickelt, konstituiert das Setting in dem ehemaligen Schulgebäude eine gelegentlich in didaktische Monotonie überspringende Inszenierung, die erst durch historische Einsprengsel wie die Diaprojektionen des polnischen Duos Kwie Kulik (Przemyslaw Kwiek, Zofia Kulik) aus den 1970er Jahren aufbricht. In Diaserien zu sehen, wie Kwie Kulik ihren Sohn über Jahre hindurch auf Basis einer streng formalisierten visuellen Grammatik als Zeichen für die existentielle Geworfenheit des Kindes in der trivialen Umgebung des Haushalts fotografierten. Diese aktionistische Irritation schließlich verweist auf den Versuch der Kuratorinnen, über den Weg einer linguistischen Operation einen Gesamtzusammenhang zu konstituieren. Denn auch Igor Grubic (HR) bezieht sich auf geographische und staatliche Rahmungen, wenn er die Übergriffe auf die ersten Gay Pride Celebrations im neuformierten Serbien und Kroatien thematisiert. Das Aufgreifen von Genderaspekten machte es letztlich auch plausibel, dass hier neuerlich – zunächst fast unvermittelt und wie bereits in der Ausstellungshalle Antrepo No. 3 unten in Tophane Werke des Body Art Künstlers Michel Journiac auftauchten. Insgesamt jedoch wenig Spiel, vielmehr Erinnerungen an die gesellschaftlichen Realitäten der Welt draußen. Hier in einem ehemaligen Schulgebäude an der unmittelbaren Peripherie eines bis an der Rand völligen Stillstands verdichteten Stadtviertels. Irritierend? Vielleicht. Denn hier tritt die Istanbul Biennale beinahe mit erhobenem Zeigefinger auf. Doch eben nur beinahe. Denn anders besehen, behält die Ausstellung hier eben auch ihren Ernst bei, ohne auszufransen.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Istanbul Biennale: Zweigstelle Feriköy Rum Okulu
12.09 - 08.11.2009

Istanbul Biennale
Istanbul,
http://14b.iksv.org


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