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The Death of the Audience: Dekonstruktion mit Pathos

Eine der seltenen Ausstellungen mit Potential zu Provokation und Kontroverse. Nicht, weil wieder mal eine der konventionellen Tabuzonen berührt wird. Der übliche Austausch von Argumenten nach Pawlow´schen Reiz-Reaktions-Mustern wäre nichts als langweilig. So einfach macht es sich Kurator Pierre Bal-Blanc in der Wiener Secession unter der Headline „The Death of the Audience“ nicht. Natürlich thematisiert er – wie unzählige andere auch – den signifikanten Ort. Doch begnügt er sich nicht mit Kritik an sakraler Architektur und rückwärtsgewandtem Raumprogramm der Secession. Vielmehr fokussiert er diese als Handlungsort im zeithistorisch widersprüchlich codierten Schnittfeld Moderne. Bal-Blanc greift Transformationsprozesse auf, welche in den 1960er und 70er Jahren das Publikum selbst zu involvieren versuchten. Daher auch der prätentiöse und plakative Ausstellungstitel, der auf Roland Barthes Diskurs vom „Tod des Autors“ (1968) reagiert und nicht darum herumkommt im Kontext ähnlicher Ideen Michel Foucaults und der von Missverständnissen begleiteten Debatte dazu wahrgenommen zu werden. Kurator Bal-Blanc konstatiert, entweder sei der Betrachter heute emanzipiert oder aber er habe sich "vom Werk entfremdet und auf einen Prozess der Interpassivität eingelassen, der ihn letztlich absorbiert und ihm seinen Namen raubt". Gut möglich. Jedenfalls birgt die Ausstellung das Potential, ihr Publikum zu aktivieren und herauszufordern. Auf semantischer Ebene werden Leseweisen evoziert von Zeichen zu Zeichen, von Begriff zu Begriff. Zentral in dem Spiel: „Subversion“ oder „Überschreitung“. An mehreren Stellen, manchmal wie beiläufig, die hochformatigen Zeichnungen Pierre Klossowskis, die im gleichen Gebäude vor 15 Jahren ganz anders ¬– nämlich klassisch auratisch ¬– präsentiert worden sind. Klossowksis Werk steht hier auch für einen der Ausgangspunkte für Genderfragen. Noch mehr beiläufig und zerknüllt am Boden verstreut: der auf rotem Papier ausgedruckte 40 seitige „ENAR Rassismus Report, Austria, 2009” als pointierter Kommentar von Sanja Ivekovi?, von der auch ältere Werke vetreten sind. Das ist eine weitere Spezialität: Mehrere KünstlerInnen sind an mehreren Orten und somit in differierenden Kontexten zu sehen. Franz Erhard Walter etwa. Der Klassiker im Schnittfeld zwischen Werk und Performativem. In der Nähe großflächig projeziert das Video „Les Manifs (Protest Marches)”, 2009 von Bernard Bazille, der seit 1990 (angeblich sämtliche) Potestmärsche in Paris filmt. Dann wieder die fotografische Dokumentation von Bazille´s Öffnung einer Dose „Merda d’artista” Manzonis. Manzonis Tabubruch wird mit dem Bruch der Unantastbarkeit des Werks begegnet. Und so weiter. „Tabu”: ebenfalls ein Leitmotiv. Vergegenwärtigt man sich unter diesen Paradigmen die Visualisierung der französischen Flagge aus Zitaten monochromer Malerei sowie das Porträt Marie Antoinettes von Franz Xaver Wagenschön (ohne Rahmen) als Repräsentation eines zentralen Feindbildes der Revolution, so wird spätestens jetzt klar: Es geht auch um „Staatsbürgerschaft“. Wie könnte es anders sein. Der Mix ist politisch. Der Zugang ästhetisch. Aktionsort ist das Netz der Signifikanten. Manchmal eigenwillig überdehnt wie im Falle des Porträts Marie Antoinettes, von der die Bildbeschriftung behauptet, sie hätte am Klavier den Soundtrack zur Revolution gespielt. Aber eine Antwort auf die von Seiten der Secession formulierte Idee, die „alte Szene“ präsentieren. Gelungen daran ist ein Projekt mit Haltung, das nicht linear didaktisch auftritt, sondern mit Skepsis. Bedeutungen werden aufgerissen und die Unabgeschlossenheit emanzipatorischer Ideen demonstriert. Auf dieser Ebene ein notwendiger Kontrapunkt zum zutiefst konventionellen Ausstellungsbetrieb Wiens mit noch konventionelleren Titeln, wenn auch der Kurator etwas zu pathetisch auftritt und wieder mal das Repertoire der Stammphilosophen aktueller Kunst zwischen Roland Barthes, Jacques Rancière und Salvoj Zizek durchzitiert.
Mehr Texte von Roland Schöny

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The Death of the Audience
03.07 - 30.08.2009

Secession
1010 Wien, Friedrichstrasse 12
Tel: +43 1 587 53 07, Fax: +43 1 587 53 07-34
Email: office@secession.at
http://www.secession.at
Öffnungszeiten: Di-So 14-18 h


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