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Rosemarie Trockel: Im Universum des Eigensinns

Diesmal wurde kaum gestrickt. Auch lebenden Tieren begegnet man hier nicht. Lediglich in Form ästhetisierter Reminiszenzen trifft man auf subtile Andeutungen. Zwei dunkle Keramikobjekte evozieren Erinnerungen an paarige Schwanzflossen, an jene Segmente des Fischkörpers, die zumeist keiner Verwertung unterzogen werden, wobei eines der Objekte dasteht wie ein abstraktes Slapstick-Teilchen. Seltsam wäre es, wenn ausgerechnet Rosemarie Trockel, deren Arbeit hartnäckig von sprachlichen Topoi des Sprunghaften, der Verwerfungen und abrupten Übergänge begleitet wird, Motive eingebracht hätte, mir denen sie ohnehin schon Kunstgeschichte geschrieben hat; etwa ihre gegen den maskulinen Minimalismus polemisierenden Herdplattenobjekte. Stattdessen geht sie mit ihren aktuellen Werken einen Dialog mit den Räumen der Wiener Galerie Georg Kargl ein. Feine Adjustierungen fungieren dort als visuelle Amplifier. Frische Dispersion in dezentem graugrün und ein umlackiertes Teil einer früheren Ausstellung als Schreibtisch machen den Empfangsbereich zum Vorraum eines imaginären Salons. Die gehängten Bildtafeln, Collagen oder Assemblagen sind Mikrokosmen mit einer Vielzahl assoziativer Andockstellen. Stoffe tauchen zwar auf, bleiben in der Grammatik der gesamten Bildserie jedoch eher im Hintergrund. Die Spannung entsteht aus einer Schichtendynamik unterschiedlicher Bedeutungsebenen. Zugleich Bezüge zur klassischen Moderne und eine Ästhetik, welche die Werke wie aus einer vergangenen Zeit erhalten wirken lässt. Im Schaufenster platzierte Trockel drei Kristalle. Dadurch kippt die Außenwirkung des Galerieraums aus dem regulären Bedeutungszusammenhang. Eintritt in ein Märchenland? Signal für zeitlose Werte? Oder einfach eine verschrobene Geste? Weniger der Druck strikten Wollens gelangt zum Ausdruck, eher die Einladung zur Irritation, zur Erweiterung des Möglichkeitssinns. In der verzwickten Raumgeografie aus Geschäftslokal, Souterrain und überdachtem Oberlichtsaal erzeugt Trockel Zonen der Imagination. Mitunter belässt sie ganze Sequenzen wie sie sind. Nahe der Abgangstreppe überrascht ein weiß lackiertes Frisiertischchen mit Spiegel als unprätentiöser Abstellplatz für zwei Keramikskulpturen. In der Nähe ein Spiegel mit einem kleinen Bord und billig wirkenden Krawatten drüber gehängt. Diesmal eine Installation, die auch als solche im Werkverzeichnis der Ausstellung aufscheint. Als Illusion entlarvt sich daher der durchaus mögliche Eindruck, Trockel würde die Räume auf ihre ursprüngliche Geschichte zurückführen. Vielmehr erzeugen ihre Maßnahmen ein tendenziell theatralisches, bühnenähnliches Szenario. Natürlich kommen Andeutungen auf Männliches und Weibliches ins Spiel. Wer hängt die Krawatten über den Spiegel? Wer blickt hinein? Eine psychologische Echokammer. Dazu eine kleine Skulptur: Eine Art Wanderer mit angesteckten Federn. Titel: „kiss my aura“. Das wäre schwierig zu praktizieren: Ironie, Vieldeutigkeit, Rätselhaftigkeit. Doch Rosemarie Trockel wird auch als Künstlerin der Entgrenzung und der Grenzenlosigkeit apostrophiert. Abgekürzt lässt sich über diese Präsentation einer Meisterin der Verdichtung von Signifikanten also sagen. Souverän zeigt die deutsche Klassikerin auch sparsam gesetzte Keramikobjekte teils an der Wand, teils auf eigens konzipierten Präsentationstischen. Durch Unterteilung mit einer – ebenfalls aus fragiler Keramik – bestehenden Kette und Inszenierung des Lichts schafft sie eine Neuinterpretation des Oberlichtsaals in der Galerie Kargl. Im Theater könnte dies auf eine poetisch gemeinte Strandpromenade verweisen; oder auf eine triviale Straßenabsperrung. Dass die Trockel gerne Zufall und Experiment mitspielen lässt, beweist sie hier ebenso wie mit einem beiläufig abgestellten Video (aus der Videothek von nebenan). „On a clear day you can see for ever“. Nein, nicht die von ihr bewunderte Brigitte Bardot spielt in diesem Film mit Yves Montand, sondern Barbara Streisand, deren Vorfahren übrigens österreichischer Herkunft waren. Aber es geht mehr um den eigentümlichen Titel, in dem Zeit und Raum syntaktisch ineinander verschoben sind. Und um noch etwas geht es in dieser Ausstellung: Um eine Poesie kritisch fundierten Eigensinns.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Rosemarie Trockel
29.04 - 25.06.2008

Galerie Georg Kargl
1040 Wien, Schleifmühlgasse 5
Tel: +43 1 585 41 99, Fax: +43 1 /585 41 99-9
Email: office@georgkargl.com
http://www.georgkargl.com
Öffnungszeiten: Mi-Fr 13-19
Sa 11-16h sowie nach Vereinbarung


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