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Kunstmaschinen - Maschinenkunst: In der Apparatewelt der Kunst

Grell beleuchtet bietet sich in der Frankfurter Schirn eine Apparatewelt, die wie von unsichtbarer Hand getrieben Kunstwerk für Kunstwerk in Serie ausspuckt. Die Ausstellungshallen wurden in ein Produktionsgelände umgewandelt. Unermüdlich arbeiten die Maschinen. Durch die kontinuierliche Zeichenbewegung eines Automaten etwa wachsen großflächige Linienmuster an einer Wand sukzessive zu einem geometrischen Rasternetz im Riesenplakatformat zusammen. Eine Begegnung mit einem diffizil angelegten Automaten-Werk von Angela Bulloch, die Anfang der 1990er Jahre noch unterschiedliche Zeichenmaschinen konzipierte. Davon unbeeindruckt rinnen am anderen Ende dieses Parcours zähe Polyethylen-Stränge aus einem computergesteuerten Automaten des in New York lebenden Roxy Paine auf ein sich zeitlupenhaft langsam bewegendem Fließband. Kaum aufgetropft, gerinnt die synthetische Melasse zu organisch anmutenden Objekten. Wie überdimensionale Plastilinwürste mit dem Glanz von Siegellack werden sie hernach aufgesockelt zum Bestaunen und reflektierenden Betrachten. Größer könnte der Kontrast zur der ein Stockwerk tiefer inszenierten Ausstellung über drei Pioniere der Abstraktion - Turner, Hugo und Moreau - kaum ausfallen. Dort persönliche Geste und malerische Handschrift. Hier der sich verselbständigende, technisch verlängerte Arm der Künstlersubjekte. Als Parallele bleibt dennoch: Thematisiert werden ästhetische Revolutionen. So fokussiert die Ausstellung Kunstmaschinen - Maschinenkunst avantgardistische Initiationsgesten des 1991 verstorbenen Poeten der Kunstmaschine Jean Tinguely, um von da aus schnell in Richtung Gegenwartskunst zu springen. Zentrales Standbein des Projekts bildet eine Kooperation der Schirn Kunsthalle Frankfurt mit dem Museum Tinguely in Basel. Die seinerzeit mitunter wörtlich umgesetzte Sprengkraft der Werke Tinguelys lässt sich heute nur mit einem historischen Vergleich reflektieren. 1959, im selben Jahr, als Tinguely in der Pariser Galerie Iris Clert seine phantasievoll konstruierten Meta-Mathics präsentierte, kultivierte Werner Haftmann zur Eröffnung der von ihm kuratierten documenta 2 noch die Rede vom Künstlergenie. Dieses trachte den Schock der einströmenden Realität mit Pinsel, Spachtel und Palettenmesser zu bewältigen. Während er ein wenig konservativ romantisierend auf die inneren Kämpfe der Künstlerexistenz verwies, hatte sich Haftmann selbst gegen Unverständnis und Ressentiment gegenüber den Strömungen des Tachismus und des Informel zu behaupten. Die Seele als aufgewühlte Projektionsfläche des Gesellschaftlichen jedoch erschien den ganz anders gepolten MaschinenkünstlerInnen längst anachronistisch. Jean Tinguely, dessen Werk das gedankliche Rückgrat der Ausstellung in der Schirn Kunsthalle bildet, delegierte die kreative Arbeit, an den Apparat, um die Vorstellung von gestischer Abstraktion als innersten Ausdruck des KünstlerInnensubjekts ad absurdum zu führen. Seine "Méta-Matics", die zu Tinguelys internationaler Positionierung beitrugen, sind kleine motorbetriebene Maschinen, mit denen das Kunstpublikum selbst abstrakte Zeichnungen herstellen kann. Mit Rückkopplungen in Richtung Duchamp, Fernand Leger und Dada oder auch Verweisen auf die literarische Utopien des Alfred Jarry ging es von Anfang an um den Entwurf neuer Produktionsweisen auf der Höhe der Zeit. Zugleich widersetzte sich Tinguely. Er steuerte die Subversion zielgerichteter Arbeit, wie sie die kapitalistische Maschine repräsentierte, an. Um sinnliche Qualitäten ging es darüber hinaus und gelegentlich um das Festliche, um intellektuellen Spaß. In Frankfurt zeigen dies im Stiegenhaus projizierte filmische Kurzdokumentationen von Umzügen Tinguelys Anfang der 1960er Jahre. Und hier eröffnet sich eine bemerkenswerte dialektische Spannung in dieser Ausstellung. Denn immer wieder ist die Rede davon, wie KünstlerInnen ihre Kreativität delegieren, ja manchmal vielleicht sogar aus der Hand geben würden verbunden mit der Frage, was dies für die Definition von "Werk" bedeute. Doch zumeist handelt es sich bloß um Verschiebungen des traditionellen Werkbegriffs, die hier vorgeführt werden. Pawel Althamer arbeitet ähnlich ironisierend wie sonst auch. Seine vor Ort produzierten Plastikflaschen in Form kleiner Männer-Akt-Statuen reflektieren die Produktionsweisen aktueller bildender Kunst wie auch zahlreiche andere Werke und Interventionen des Künstlers. Bei Angela Bulloch zeigt sich, wie sich an Hand der Entwürfe aus Ihrer Zeichenmaschine Aussagen über Kontraste, über Hell und Dunkel oder Schlicht und einfach über die für ihr Gesamtwerk signifikanten Elemente Licht und Farbe formulieren ließen. Olafur Elliason stellt in seinem Werk the endless study, 2005 klare naturwissenschaftliche Bezüge her, während die in Wien lebende LIA - wie sonst in jeder ihrer Installationen und Performances auch hier mit Computerprogrammen arbeitet. Also müsste die zentrale Frage eher lauten, wie KünstlerInnen ihre spezifische Sprache auf der Ebene des Themas Maschine fortsetzen. Nahezu jede der Maschinen trägt die ästhetische Handschrift ihrer jeweiligen künstlerischen PlanerInnen. Präsentiert werden letztlich thematische Variationen, die aus höchst unterschiedlichen Kontexten kommen. Klinisch steril etwa wirkt das glänzende Farbwürste produzierende Szenario im Raum von Roxy Paine, dessen Werk oft um den derzeit boomenden Begriff der Second Nature kreist, während die einzelnen Maschinen des Klassikers Jean Tinguely mit Kunstgeschichte durchtränkte Poesie ausstrahlen. Mit zunehmendem Alter des Künstlers werden sie ausufernder und verspielter. Dennoch: Sie sind durch und durch persönlich, ja fast von der Aura Tinguelys durchwirkt. Angesichts dessen bleibt nicht ganz nachvollziehbar, warum die Beleuchtung in der Schirn Kunsthalle derart gleichförmig grell gehalten wurde, dass die einzelnen Maschinenobjekte nivelliert und alle Objekte über ein und dasselbe Raster gezerrt wirken. Warum nicht hie und da eine etwas geheimnisvollere Beleuchtung? Warum nicht mehr Spiel mit Kontrasten und Abständen? Warum nicht mehr mit der Maschine Kunsthalle spielen und den evozierten Diskurs durch die Raumtopografie betonen. Hier wurde ein Potential verschenkt. Andererseits vermittelt die Ausstellung einen Eindruck davon, wie viele signifikante KünstlerInnenpersönlichkeiten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sich dem Thema widmen. Immerhin sind neben den bisher erwähnten auch noch Damien Hirst oder Rebecca Horn und Tim Lewis, Tue Greenfort oder auch Antoine Zgraggen vertreten. Diese Bandbreite plus Tinguely wirft ein Licht auf die Virulenz des Themas in der Gegenwartskunst und macht Lust auf noch mehr, was allerdings den räumlichen Rahmen gesprengt hätte. Dazu hätte man wahrscheinlich die Firma Roman Signer bestellen müssen.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Kunstmaschinen - Maschinenkunst
18.10.2007 - 27.01.2008

Schirn Kunsthalle Frankfurt
60311 Frankfurt am Main, Römerberg
Email: welcome@schirn.de
http://www.schirn.de
Öffnungszeiten: Di - So 11.00-19.00 Uhr, Mi - Sa 11.00-22.00 uhr


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