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2. Moskau Biennale: Multiples Andockmanöver

Gegensätze werden hier nicht kaschiert. Im Schatten des Luxus und der Moden wurden großräumig Flächen für diskursive Kunst geschaffen. Die Eröffnung der heurigen Moskau Biennale ging im Tsum, dem zweitgrößten Kaufhaus Russlands nahe dem Bolschoi-Theater über die Bühne. Eine aufdringliche Kosmetika- Duftwolke untermalte die Inszenierung elitärer Fashion-Labels, während im Publikum die Pelz-Quote stieg und eine Techno D-Jane die Rede des leitenden Kurators Joseph Backstein rhythmisch abfing. Mittlerweile hatte der Pulk der Vernissagegäste per Rolltreppe das Dachgeschoß erreicht, wo sich ein roh belassenes Loft zur Bühne für mehr als 30 Großbildprojektionen ausweitet. In der Druckkammer der bewegten Bilder offenbart sich unter der Headline "USA: american video art at the beginning of the 3rd millenium" kompiliert von Daniel Birnbaum, Gunnar B. Kvaran und Hans Ulrich Obrist schließlich der engagierte Versuch die mehrfach gespiegelten Weltverhältnisse wieder zurück auf die Beine zu bekommen. Ausgerechnet im architektonischen Wurmfortsatz eines russischen Luxuskaufhauses wird Amerika kritisch fokussiert. Mit Ironie oder in pointierter Übertreibung, mit den Mitteln der Dokumentation oder in der Sprache des Musik-Videos formulieren KünstlerInnen wie Mike Bouchet, Kalup Linsky, Xavier Cha, Edgar Arcenaux oder Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla Kommentare zu zivilem Ungehorsam, zu Rassismus und Gender-Themen oder nehmen Absurditäten der Konsum-Welt aufs Korn. Per Blue-Tooth zugespielte Werkbeschriftungen wären praktisch. Im Dunkel des Projektionsbunkers hätten nicht einmal rechtzeitig angelieferte Kataloge zur Verständniserweiterung beitragen können. Schneller erschließen sich in Moskau die special projects wie "Petroliana, Erdölpatriotismus" kuratiert von Elena Sorokina im Moskauer Museum für zeitgenössische Kunst. KünstlerInnen wie Sergey Bugaev-Africa, Armin Linke, Oliver Ressler, Elena Kovylina oder Justin Beal kreisen eine zentrale Basis des russischen Dollarkapitalismus ein. Andeutungen sozio-ökonomischer Analysen konterkarieren Anspielungen auf Film oder Literatur. Draußen im Hof und im Stiegenhaus dagegen erinnern Wandteppiche und schwülstig-aufdringlichen Skulpturen des Volkskunst-Superstars Zurab Tsereteli an die Randposition solcher Ausstellungsunternehmen. Fehlende Hinweise in der Öffentlichkeit auf die an mehr als 20 Orten über die Bühne gehende Kunst-Biennale mit ihren angedockten Sonderpräsentationen von Jeff Wall oder Luca Pancrazzi über Darren Allmond oder Yoko Ono bis hin zu Matthew Barney sowie die mehr als brüchige Infrastruktur ohne organisierten Katalogverkauf erinnern daran, dass Gegenwartskunst in der 12 Millionen Metropole zu den Marginalien des Alltags zählt. Repräsentative Straßen wie der weltberühmte Tverskoj Bul´var sind höchstens mit Transparenten von Escada oder Prada überhängt. Das Biennale-Motto "footnotes on geopolitics, market and amnesia" erfährt hier seine Legitimation. Dennoch wirkt der Wille zur Positionierung ungebrochen, sobald man den Rohbau des "Federation Tower" per Lastenaufzug erklommen hat, um auf drei Stockwerken eine weitere Hauptausstellung zu durchwandern. Abschnittsweise erscheinen die bildnerischen Werke egalitär und unbegründet aneinandergereiht. Im Hauptteil jedoch erschließt sich die Intention, ein Konzentrat visueller Bearbeitungen rund um Phänomene globaler Ökonomisierung zu bringen, während umgekehrt in einigen Arbeiten auch lokale Idiome ins Spiel gebracht werden - etwa in den Präsentationen der prominenten Cubanerin Ana Mendieta oder des aus Kamerum stammenden Barthelemy Toguo. Wer noch nicht ermüdet ist, stößt im National Centre for Contemporary Art neuerlich auf Öl. Soeben wurde dort eine neue Skulptur Valie Exports aus Kalaschnikows über einer Altöl-Lache fertig gestellt. Die Personale der österreichischen Medienkünstlerin hier und in der noblen Ekaterina Foundation, die ursprünglich als Kulturaustauschausstellung in der Moskauer Manege vorgesehen war, gilt im kritischen Small Talk als einer der besten Biennale-Programmpunkte. Parallel dazu fokussieren verschiedene Institutionen spezielle thematische Konzentrate wie etwa "Urban Formalism" oder "Sots Art - Political Art in Russia and China", während die private Ekaterina Foundation eine umfangreiche und Malerei Ausstellung unter dem Allerwelts-Motto "Bewegung" bringt. Dazwischen singuläre Präsentationen mit hypnotischem Charakter wie das lyrisch erotische Pipilotti Rist Unterwasservideo "Sip My Ocean" im Inneren der Ruine des Schusev Architectur Museum. Insgesamt bleibt der Eindruck eines monströsen über die Stadt verteilten Puzzle höchst divergenter Einzelspielflächen. Die jeweiligen Schwerpunkte und das Inseldasein einzelner Projekte erleichtern unter diesen Bedingungen aber auch die Lesbarkeit und Vergleiche im Makrobereich. Als Biennale formiert scheinen die unterschiedlichen Ausstellungssegmente als Transmissionsriemen zur forcierten Präsenz von Gegenwartskunst im kulturellen Alltag Moskaus nun ihre Zugkraft zu gewinnen; allerdings mit dem Schalen Beigeschmack, dass für die Umsetzung genau dieser Vision selten anderes erfunden wird, als eben eine Biennale.
Mehr Texte von Roland Schöny

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2. Moskau Biennale
01.03 - 01.04.2007

Moskau Biennale
101000 Moskau,
http://2nd.moscowbiennale.ru/en/


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