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Is it the end of the artworld as we know it?

"No one is paying for an "image". They are playing their cards for potential value.“ Dieser Satz stammt aus einer Serie von Tweets der digitalen Künstleridentität Pak (@muratpak) vom Dezember 2020. Er spiegelt einerseits wider, was dem neuen Phänomen in der Kunstwelt, den „Non Fungible Tokens“, vorgeworfen wird. Es handle sich dabei nur um eine Spekulationsblase, meinen die einen. Andere wiederum sehen in der Möglichkeit, rein digitale Kunstwerke endlich sicher handelbar zu machen, die Zukunft für einen breiten und demokratisch organisierten Kunstmarkt.

Die Blockchain als Werkverzeichnis
Was sind diese mit „NFT“ abgekürzten Codes aus Nullen und Einsen, über die es gefühlt hunderte Talks auf der iPhone App Clubhouse gibt und die nach ersten Auktionsrekorden sowohl bei Christies als auch auf NFT-platformen für den Kunstmarkt interessant werden? Token sind in der analogen Welt eine Ersatzwährung, wie etwa Jetons im Spielcasino, oder die bis 2003 gültigen Subway Tokens für die New Yorker U-Bahn. In der Krypto-Welt bilden Token die Grundlage für den Austausch digitaler Währungen und ermöglichen den Zahlungsverkehr mit Currency Tokens wie Bitcoin oder Ethereum. Solche Currency Token sind, ebenso wie analoge Geldstücke oder Geldscheine, austauschbar - englisch fungible. Alle 1-Euro Münzen haben den selben Wert und sind ebenso identisch wie ein Bitcoin-Token. Die digitale Erstellung eines solchen Token und der Handel damit werden in einer Blockchain, einer in den weltweiten Computernetzen verteilten Datenbank weitestgehend fälschungssicher gespeichert. Seit dem Jahr 2005 gibt es dazu auch noch die nicht austauschbaren, also „non fugible“ Token, mit denen eine individuelle Information verknüpft werden kann. So bietet sich etwa neuerdings die Möglichkeit, Information zu einem realen Kunstwerk wie Autorschaft und Besitz in einer Blockchain festzuhalten an, um damit ein fälschungssicheres, digitales Werkverzeichnis zu erstellen. Ein Service, das bereits von einigen Unternehmen angeboten wird. Bei Christie`s wurde z.B. im Jahr 2018 die Sammlung des Reeders, Barney A. Ebsworth, versteigert und die Ergebnisse in einer Blockchain gespeichert. Was für analoge Kunstwerke gilt, bietet sich genauso gut und geradewegs für rein digitale Kunstwerke an.

Die Geburt einer Kunst-Währung
Mit den Non Fungible Token löst man endlich ein Problem an dem die breite Vermarktung digitaler Kunstwerke bisher gescheitert ist. In den vergangenen Jahren haben zumindest die künstlerische Fotografie und Videoproduktion die Frage nach der Authentizität einzelner Abzüge und des Vertrauens in die festgelegte Anzahl von Editionen bei den Sammler:innen einigermaßen in den Griff bekommen. Für digitale Bilder, Gifs und 3-D Animationen galt aber bisher die Möglichkeit der beliebigen Vervielfältigung als Hinderungsgrund für die Entstehung eines Marktes rund um diese Kunstwerke. Das hat zwar einzelne Sammler:innen wie Hampus Lindwall nicht davon abgehalten, digitale Kunst zu kaufen und meist gratis zugänglich zu machen. Auch Video-Sammlerin, Julia Stoschek, hat mittlerweile mehr als 200 Videos auf ihrer Website unentgeltlich verfügbar gemacht. Diese Initiativen geschehen in Abstimmung mit den Künstler:innen und sind oft auch mit Honoraren bzw. Urheberrechtsabgaben verbunden. 
Seit der Einführung der NFTs hat sich nun ein (vermeintlich?) demokratisierter Kunstmarkt auf diversen Plattformen für Jpegs, Gifs und Animationen entwickelt, in dem die Digital Artists selbst ihre Kunstwerke verkaufen können.

Die Plattformen der neuen Zeitrechnung
Wer sich auf die Suche nach Kryptokunst macht, läuft schnell Gefahr, sich in der Masse des Angebotes zu verlieren. Seit Beginn des Krypto-Booms wurden viele Plattformen gegründet, auf denen man digitale Kunst „minten“, also mit einem NFT verknüpfen kann. Dementsprechend unübersichtlich ist das Angebot geworden. Unter den größten Plattformen sind Opensea, Mintable Nifty Gateway, Rarible, SuperRare und Foundation. Praktisch jede NFT-Suchanfrage auf Google bringt neue Ergebnisse und neue Plattformen. Was alle diese Plattformen und das System der Cryptokunst auszeichnet, ist das auf die Spitze treiben der künstlerischen Selbstvermarktung. Im Cryptospace können sich alle als Künstler:innen versuchen und ihre Kunstwerke zum Verkauf anbieten. Die Plattformen bieten meist eine Mischung aus angebotenen Werken zum Fixpreis und Werke angeboten in zeitlich limitierten Auktionen. Praktiken, die dem realen Kunstmarkt seit Jahren vorgeworfen werden sind integraler Bestandteil des Kryptokunstmarkts: künstliche Verknappung in den Auktionen, Intransparenz aufgrund der Nicht-Identifizierbarkeit der Käufer:innen und Verkäufer:innen und fehlende Regelungen zu Umsatz-, Einkommens- und/oder Gewinnsteuern machen die Plattformen zu einem Geldwäsche-Eldorado erster Güte.

Immerhin: Ein für den US-Amerikanischen Markt neues System ist die Beteiligung der Künstler:innen an den Weiterverkäufen. Was Europa in Form des Folgerechtes schon seit den frühen 2000er Jahren praktiziert, wird in den USA als große Errungenschaft des Crypto-Spaces gefeiert. Im Durchschnitt gehen zwischen fünf und fünfzehn Prozent eines Wiederverkaufs an die „Creators“, mindestens fünf Prozent nimmt die Verkaufsplattform selbst damit ein. Im Schnitt muss man beim Wiederverkauf also eine Wertsteigerung von wenigstens 20% erzielen, sonst zahlt sich das Investment in Kryptokunst nicht aus. Die wahrhaft verrückten Beträge, die in jüngster Zeit für NFTs bezahlt wurden, haben den Traum vom schnellen Reichtum für Viele durch den Handel mit Kryptokunst für einige (wenige) wahr werden lassen, die große Masse sowohl der Künstler:innen als auch der Käufer:innen wird davon wohl ausgenommen bleiben.

Kunst und Dekoration
Was Kunst ist und was nicht, ist schon in der alten, analogen Welt Thema unzähliger Diskussionen. Die Schere zwischen Kunst und Können scheint sich im Cryptospace nun in die andere Richtung zu öffnen. Wer es schafft, für sich eine Ethereum-Wallet anzulegen, kann als Künstlerin und Künstler digitale Werke zum Kauf anbieten. Das Angebot ähnelt daher eher den Dekorationsabteilungen, wie man sie in Möbelhäusern oder auf diversen Online-Kunstplattformen bereits findet. Dass viele der 5000 Einzelbildchen des für 69 Millionen USD bei Christie’s verkauften Kunstwerks von Beeple (das artmagazine berichtete) eher seltsam, uninteressant oder sogar rassistisch sind, hat Ben Davis von Artnet bereits festgestellt (Artikel hier). Dem gegenüber steht eine andere digitale Kunstform wie z.B. die technisch-aalglatten Computer-Renderings von Pak, einer Künstler-Identität die demnächst für Sotheby’s das Krypto-Zeitalter einläuten soll. Noch sind keine Details über das Auktionsdatum bekannt. Darüber, was versteigert werden soll, hüllen sich alle Beteiligten in beredtes Schweigen - nichts weniger als Bahnbrechend soll es natürlich werden. Bei Paks Tweet „art is incomplete design“ darf man allerdings eher skeptisch bleiben.

Andere Plattformen versuchen die Qualität hoch zu halten, indem sie strengere kuratorische Maßstäbe anlegen und vor allem Künstler:innen aus der analogen Kunstwelt dafür gewinnen, eigene NFTs zu entwickeln. SuperRare und Verisart bieten aktuell wöchentlich jeweils Montags neue Kryptokunst u.a. von AES+F, Neïl Beloufa, Petra Cortright und Shepard Fairey (Link hier). Erst vor wenigen Tagen wurde auf der Plattform Foundation das Werk „Panic Attack 1. Terrestrial Paradise“  von Pussy Riot für 100 Ethereum, derzeit umgerechnet ca. 150.000 Euro, verkauft.

Gekommen um zu bleiben
Was immer man an der neuen Kryptokunst auszusetzen haben mag, verschwinden wird sie so bald nicht mehr, so lange es Computernetzwerke und genügend Strom gibt wird sich die Kunstwelt in digitalen Medien widerspiegeln und neu erfinden. In Zeiten der Klimakrise und deren Thematisierung in immer mehr Ausstellungen steht der hohe Stromverbrauch bei der Erstellung von NFTs durchaus zurecht in der Kritik. Neue Technologien sollen dem bald Abhilfe schaffen. Die Krypto-Kunstszene wird von einer starken Fanbasis getragen, die wohl auch mit anderen Kryptowährungen handelt und anscheinend genügend Liquidität besitzt, um mehrere tausend Euro in Ethereum für ihre Lieblingskünstler ausgeben zu können. Der Käufer der 5000-Beeple Bilder mit dem Usernamen Metakovan (hinter dem wohl der Krypto-Investor Vignesh Sundaresan steht) hat angekündigt, einen Kryptokunst-Fonds mit dem Namen B.20 zu eröffnen, um weitere Investoren auch aus der realen Finanzwelt anzuziehen. Christina Steinbrecher, frühere Leiterin der Viennacontemporary, arbeitet mit blockchain.art an einem Tool um die Blockchain auch für Galerien nutzbar zu machen und das österreichische Startup BlockExpo arbeitet daran, auch die legistischen Hürden des Steuer- und Gewerberechts im Kunsthandel für den Cryptospace zu überwinden.

Auch wenn in der Anonymität der Netzwerke schon erste Fälle von Diebstahl und Betrug aufgetreten sind, digitale Kunst hat schon jetzt eine lange Geschichte ganz ohne NFTs. Die viele Dekoration, die auf den Krypto-Plattformen zu finden ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen dass in vielen tausenden Ateliers auf dieser Welt beständig Kunst produziert wird, die wenn sie schon keinen Fußabdruck in der Kunstgeschichte hinterläßt, dennoch gerne gekauft wird.
Die Galerien sind gefordert, ihre Funktion als Präsentations- und Diskussionsort für Kunst in den neuen digitalen Räumen zu erfüllen. Neue Galerien für Kryptokunst sind ohnehin bereits entstanden. Leider hinkt Europa dieser Entwicklung hinterher. Laut einer ersten Information der Wirtschaftskammer Wien brauchte eine Galerie für Kryptokunst mit Sitz in Österreich wohl eine Lizenz als Auktionshaus. In Deutschland dürfte die Rechtslage ähnlich sein.

Das ZKM in Karlsruhe hat bereits 2018 begonnen, sich mit „cryptoART“ auseinander zu setzen. In Österreich gilt das RIAT Institut seit 2012 als absoluter Vorreiter in der Auseinandersetzung mit Crypothoraphie. Weitere Institutionen, und nicht nur jene die sich auf Medienkunst spezialisiert haben, sollten diesem Beispiel folgen um in den Diskurs über Kryptokunst einzusteigen und ihn weiter zu führen.

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Abbildung: Still aus: Pussy Riot, „Panic Attack 1. Terrestrial Paradise

Mehr Texte von Werner Remm

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