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Altersgerechte Vermittlung

Vor vier Jahren widmete ich meine erste Montags-Causerie einem im Kulturbereich „ekligen Begriff“.(1) Das Beispiel damals war die „angewandte Kunst“. Fünfzig Texte später möchte ich zum Abschluss meiner Beiträge einen ebenso degoutanten weil ebenso „uneigentlichen“ Begriff aufs Tablett heben: die „Vermittlung“. „Vermittlung“ war tatsächlich eines der von der Kulturpolitik in den letzten Jahren am meist bemühten Schlagworte. Aber ist dadurch klarer geworden, was damit gemeint ist? Und was davon genau gehofft wird? Vermitteln kann man schließlich vieles: zum Beispiel einen Kredit, einen beruflichen Kontakt oder einen Lebenspartner. Auch im Kulturbereich wird unterschiedliches vermittelt. Manches davon unbewusst, anderes offensiv. Für viele unbewusst vermitteln Museen mit abweisenden Fassaden und steilen Treppenhäusern beispielsweise, dass dieses Haus mit der Welt draußen nicht viel zu tun haben möchte. Ganz bewusst hingegen wird in der Regel vermittelt, dass man in einem Museum den Werken nicht zu nahe kommen soll. Auch Saaltexte und Werkbeschriftungen sind „Vermittlung“. In manchen Institutionen galten jedoch lange Zeit knappe Beschilderungen mit den Angaben „Ohne Titel“ und den Maßen, die man ohnehin vor sich sieht, als Ausweis von Avanciertheit.

Es gibt aber auch positive Beispiele. So sind die Werkbeschriftungen im Kunsthistorischen Museum Wien erst jüngst überarbeitet worden. Die Texte sind dort nun nicht mehr neben den Werken, sondern, dezent in die neuen Absperrungen integriert, vor ihnen. Das ist eine deutliche Verbesserung. Eine weitere Vermittlungsform ist die persönliche Führung. Allerdings kommt sie in der traditionellen Form, also Face to Face, kaum mehr vor.(2) Während es im 17. und 18. Jahrhundert gar nicht anders möglich war, eine Sammlung zu besuchen, als an der Seite eines erklärenden Kustos, sind heutige Museumsbesucher in der Regel gänzlich allein unterwegs. Auch die vor einiger Zeit noch häufigen Gruppenführungen haben nachgelassen. Wahrscheinlich hat das mit einem gesamtgesellschaftlichen Vorbehalt gegenüber Schulsituationen zu tun, denn wissbegierig ist das Publikum allemal. Auf Informationsvermittlung ist es geradezu konditioniert. Insofern boomen ausleihbare Audioguides. Sie sind individuell bedienbar und mit tiefen, einlullenden Stimmen träufeln sie den Besuchern Geschichten um Geschichten ins Ohr. Diese verwandeln sich dadurch meist in leicht gebeugt stehende oder sitzende Monaden.(3) Selbst Personen, die zu zweit eine Ausstellung besuchen, reden nun kaum mehr miteinander. Statt dessen wirken nun alle Erwachsenen einheitlich wie Autisten. Das ist quasi das gesellschaftliche „Großbild“, das in Ausstellungen heute „vermittelt“ wird.

Womit wir, nebenbei, auch beim Thema der Alterssegmente wären. Je nach Lebensalter wird ja ganz unterschiedlich „vermittelt“. Im jungen Segment funktioniert Vermittlung zum Beispiel völlig gegenteilig als gerade beschrieben: Für die Vier- bis Zwölfjährigen werden in Kulturinstitutionen vor allem praktische, körperliche Betätigungen angeboten: Das reicht von Malaktionen über Musizieren bis hin zu Motiv-Schnitzeljagd im Museum. Zudem sind in den letzten Jahren zahlreiche Kinderinstitutionen entstanden, in denen man phantasievoll Basteln oder an Theater-, Tanz- und Filmkursen teilnehmen kann. Im Wiener ZOOM Kindermuseum – um nur ein Beispiel zu nennen – lernen Kinder spielerisch Themen wie Häuser bauen, Geburt und Sterben, Leben im Mittelalter oder Mozart kennen. Das entsprechende Zauberwort heißt „Hands on“: In den Ausstellungen darf alles angefasst und ausprobiert werden. Da geht es um lustvolles Kennenlernen und um Könnenserfahrungen durch Selbstmachen. Für Erwachse hingegen wurden solche Angebote vor langer Zeit in die Volkshochschulen und in die privaten Therapien abgeschoben. Bleibt noch das mittlere Segment: Jugendliche im Alter von 13-19 Jahre. In ihm tritt das Problem der kulturellen „Vermittlung“ am offensichtlichsten zu Tage. Schlicht durch den Umstand, dass sie nicht existiert. Jugendliche sind für Museen in der Regel weder durch einen Rollkoffer mit Malutensilien noch durch bewundernswert schön ausgeleuchtete Exponate zu erreichen. Für dieses Alterssegment bräuchte es eher eine Art Lebensberatung /-begleitung. Aber wo und wie ließe sich so etwas implementieren?

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(1) www.artmagazine.cc/content44034.html
(2) Wo es noch Einzelführungen gibt, sind sie aufs wärmste zu empfehlen. Vor einiger Zeit leuchtete mir z.B. ein Führer auf Burg Forchtenstein die dortige Kunst- und Wunderkammer mit einer einzelnen Taschenlampe aus. Jüngst in Budapest hingegen geriet meine Führerin durch die Ausstellung „Von Caravaggio bis Canaletto“ in eine Art mitleidende Rezeptionsektase. Beide Erlebnisse waren überaus beeindruckend. (
3) Das beigestellte Foto entstand jüngst im Lenbachhaus München. Die Besucherin mit Audioguide sitzt vor dem Bild „Das Bunte Leben“ aus dem Jahr 1907 von Wassily Kandinsky.

Mehr Texte von Vitus Weh

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