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Eklige Begriffe

Als mich der Herausgeber des artmagazine fragte, ob ich über die Kreativwirtschaft gerne eine regelmäßige Kolumne verfassen würde, lagen mir mehrere Antworten auf der Zunge. „Wollen Sie mir etwa die Angewandte Kunst unterschieben?“ war eine davon, aber das hatte schon der Direktor des Wiener Museums für Angewandte Kunst gesagt, als ihm vom Direktor des Museums moderner Kunst eine Ausstellung – Künstler gestalten „Musterzimmer“ – vorgeschlagen wurde. Dabei war die brillante Ausstellung sogar durchfinanziert, aber leider eben „angewandte Kunst“. Das muss man sich mal vorstellen: Der Ausdruck „angewandte Kunst“ ist so negativ besetzt, dass sich sogar die dafür nominell Zuständigen distanzieren. Da drohen dann natürlich permanente Enttäuschungen und Ausbruchsversuche.

Aber wie konnte es überhaupt zu solch einem unbeliebten Begriff gekommen? Warum heißen die entsprechenden Häuser in Köln, Wien, Leipzig oder Frankfurt alle „Museum für angewandte Kunst“, obwohl sie im 19. Jahrhundert jeweils als Wirtschaftsförderungsinstrumente gegründet wurden und „Museum für Kunst und Gewerbe“, „für Kunsthandwerk“ oder „für Kunst und Industrie“ hießen? Heute weiß doch jeder Trottel, dass richtige Kunst frei und autonom ist. Das heißt, sie muss ganz in sich ruhen, keine Interessen, Funktionen, Abhängigkeiten zulassen. Wer daran glaubt, für den wirkt der Ausdruck „angewandte Kunst“ natürlich ekelig: Es ist wie die willkürliche Befleckung eines reinen Ideals.

Diesbezüglich waren die Schweizer klüger. Deren vergleichbaren Institutionen in Basel, Zürich oder Winterthur heißen „Museum für Gestaltung“, auch das Berliner Bauhaus-Archiv nennt sich so im Untertitel. Im unspezifischen Ausdruck „Gestaltung“ kommt genau das zum Ausdruck, was den Bereich der „Kreativwirtschaft“ – auch so ein misslungener Begriff – prinzipiell interessant macht: Nämlich dass es um Gestalten im allgemeinen Sinne geht, um Gestalten im Sinne von Denken, im Sinne von Weltentwurf, kurz um das, was man in der italienischen Renaissance „disegno“ nannte. Das disegno war die Formwerdung einer Idee. Es war das, was eine Idee kommunizierbar machte, in welcher Form auch immer.

Warum also nicht alle Museen für angewandte Kunst umbenennen in „Museen für Gestaltung“? Ich bin da schwer dafür. Die Ergänzung durch Kunst im Titel war immer schon ein strategischer Fehler, heute aber ist es zusätzlich auch noch ein Fehler der Logik. Denn Kunst, in seinem modernen singulären Sinne, kann kein Zusatz, auch keine Steigerung von Gestaltung, von Gewerbe oder von Kreativwirtschaft sein, sondern es ist jeweils eine Teilmenge davon.

Aber wenn man schon am ändern ist, könnte man auch den Aspekt des Museums beim „Museum für Angewandte Kunst“ zur Disposition stellen. Dass man zur Geschmacksbildung und Anregung der zeitgenössischen Produktion am besten Vitrinenfluchten voller Keramik anschaut, glaubt heute niemand mehr. Aber genau das war das Motiv, das, aufgebracht durch Gottfried Semper, um 1870 zur Gründungswelle all dieser Museen führte: Keramik und Textilien, am besten aus dem Orient, galten als die idealen Inspirationsquellen. Ob das überhaupt je so funktionierte, weiß ich nicht zu sagen, Fakt jedenfalls ist, dass heute vor allem Magazine, Vorträge, Wanderausstellungen, Messen und Festivals zur Inspiration und Wirtschaftsförderung beitragen. Da ist die Präsentation einer ständigen historischen Sammlung vielleicht tatsächlich obsolet und man sollte sich eher am Namen des Karlsruher ZKM – „Z“ wie Zentrum und Zukunft – orientieren.

Mehr Texte von Vitus Weh

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