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... Biedermeier, oder was?: Tendenzen und Titelungen

Die Zeit drängte. Als der Chef gefragt wurde, was er sich denn als Sommer-Ausstellung denke, damit man das endlich in die Anzeige geben könne, auf die bei "artforum" schon gewartet wurde, murmelte Hubert Winter etwas von Biedermeier. Wieder einmal wurde man Zeuge dessen, dass Ausstellung machen in erste Linie heißt, einen Titel finden. Und weil nur die Worte streng sind und die Bilder dafür milde, entstand einmal mehr eine flexible, geschmeidige, in diesem Fall zum Biedermeierlichen, von dem das Motto redet, passende Präsentation. Was auch immer man von der Produktion der Zeit zwischen 1815 und 1848 sagen mag, sie hat etwas Kläublendes, Beckmesserisches, zum Kleinteiligen Tendierendes, das, was man hat und nicht hat, Vorbuchstabierendes, eine Phantastik und Fanatik der Exaktheit, für die die Galerie Winter im eigenen Programm durchaus der Gegenwart Entsprechendes gefunden hat. Allen voran die Zeichnung über grundierter Leinwand mit dem BIC-Kugelschreiber des jungen in Wien lebenden Bulgaren Stoyan Dobrev. Es ist eine imaginierte Landschaft, voller Wucherungen, Vegetation, Dickicht auf der einen Seite und voller Hingabe, Akkuratesse, Liliputanismus auf der anderen. Auch Chantal Michels fotografisches Selbstporträt unter lauter Trödel kommt aus einer solchen Sphäre von Detailverliebtheit. Rudi Molaceks metallene Rosen und Béatrice Dreux` Bildnis eines Mädchens samt Blumenstrauß, der allerdings, Künstlerpech, auf einer separaten Leinwand zu malen gekommen ist und damit für alle Zeit unerreichbar bleibt, geben einer anderen Facette des Eigenen und Eigentlichen statt. Franz Vana mit zwei Hommagen an den Alkohol, Annelies Strbas fotografische Phantasie mit Schneegestöber und ein Video der in Berlin lebenden Russin Maria Serebriakova vervollständigen die häusliche Runde. Biedermeier heisst so nach Gottlieb Biedermeier, dem Verfasser traulich-trister Gedichte, und ist, wie so häufig, eine nachträgliche, denuziatorisch gemeinte Betitelung. Das andere, bessere, kämpferischere Wort für die Zeit und ihre Unfreiheit ist Vormärz. Hier also der Appell an die Galerie Winter: Beim nächsten Nachdenken auf Vormärz kommen und wieder eine Sommerausstellung versuchen.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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... Biedermeier, oder was?
11.07 - 01.08.2003

Galerie Hubert Winter
1070 Wien, Breite Gasse 17
Tel: +43 1 524 09 76, Fax: +43 1 524 09 76 9
Email: office@galeriewinter.at
http://www.galeriewinter.at
Öffnungszeiten: Di-Fr: 11-18h
Sa 11-14h


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