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The Others: Die Anderen, das sind wir alle

Die vom dänisch-norwegischen Künstlerduo Elmgreen & Dragset kuratierte Ausstellung „The Others“ in der Berliner König Galerie thematisiert erstmals das Gebäude, in dem sich die Galerieräume seit 2015 befinden: die ehemalige St.-Agnes-Kirche in Kreuzberg, ein brutalistisches Beton-Monument, erbaut 1964-67 vom Berliner Architekten Werner Düttmann. Im Eingangsbereich des Kirchenschiffs, das nun als großer (und imposant hoher) Ausstellungsraum dient, liegt ein langer, schwarzer Quader von Santiago Sierra. Er kommt mit der Anleitung, horizontal gegen eine Wand gehalten zu werden, was zum Zeitpunkt des Ausstellungsbesuchs leider nur mehr auf Bildern nachvollziehbar ist – im räumlich-thematischen Kontext ergibt sich die Assoziation an den Kreuzweg Christies oder auch, im liegenden Zustand des Objekts, an eine Betbank. Mit insgesamt fünfzehn Arbeiten von zwölf Künstler_innen wird in der Ausstellung daran erinnert, dass man sich hier in einem Kirchengebäude befindet – jedoch weniger in Form einer Mahnung als einem Hinterfragen etablierter Darstellungsformen von Körperlichkeit und Materialität im Christentum. Der Ausstellungstitel „The Others“ könnte auch das (traurige) Motto der vergangenen Jahre sein, ist er doch eine äußerst aktuelle, oft benutzte Zuschreibung. Im Kontext der Ausstellung fassen die Kuratoren ihn als Synonym für sich selbst und ihren eigenen kulturellen und religiösen Hintergrund. Die oberflächliche Binarität, die schon im Titel enthalten ist, setzt sich auch im Schwarz-Weiß der Werkauswahl fort, in der offensichtliche Bearbeitungen heiliger Körper allzu sehr dominieren. Elmgreen & Dragsets Skulptur „Reversed Crucifix“ (2016) eines nackten, weiß lackierten Männerkörpers, der mit dem Rücken zum Betrachtenden an ein schwarzes Kreuz gebunden ist, Mark Wallingers moderner Jesus „Ecce Homo“ (1999/2000) oder Young-Jun Taks Madonnastatue, übersät mit Pamphleten von Gruppen, welche die „Heilung“ Homosexueller anbieten, werfen mehr und weniger kritische Fragen zu Ein- und Ausschlüssen in der Kirche auf. Nasan Tur thematisiert mit seinen mit Bruchflächen versehenen Fragmenten von Marmorskulpturen – Penis und Skrotum sowie Daumen und Zeigefinger – die Zerstörung von Genitalien bei Statuen durch Vertreter der Kirche. Ron Muecks gewohnt lebensechte Skulptur „Youth“ (2009) setzt das Motiv etwas unaufdringlicher ein: Mit einem Blick der Verwunderung hebt der junge schwarze Mann sein blut-beflecktes T-Shirt, um die Stichwunde auf seinem Oberkörper, ähnlich jener des Heiligen Thomas, zu inspizieren. Martin Kippenbergers ans Kreuz genagelter Holzfrosch mit dem Titel „Was ist der Unterschied zwischen Casanova und Jesus: Der Gesichtsausdruck beim Nageln“ (1990) nimmt der Werkauswahl ein wenig die drückende Ernsthaftigkeit. Die Präsentation im großen Ausstellungsraum ist ausgesucht und kritisch, bestimmt auch manches Gezeigte provokant für manche. Dennoch ist hier irgendetwas komisch. Vielleicht ist es der graue Wintertag in Berlin, der alles gleich erscheinen lässt und einen fahlen Geschmack erzeugt. Vielleicht ist es aber auch die nicht vorhandene Distanz, der abwesende Zwischenraum. In einer für Gottesdienste genutzten Kirche wäre die ideelle Konfrontation mit den Werken womöglich interessanter, so aber – in der zur zeitgenössischen Galerie umfunktionierten Kirche –, fehlt die Reibung. Das Gefühl bleibt, bis man sich einen Stock höher in den erstmals bespielten Turm begibt, wo sich ein stimmiges Setting mit zwei Arbeiten von Tacita Dean eröffnet: Ein Arrangement aus einer gerahmten Ausgabe von Hammond Innes Roman „The Angry Mountain“ und zwei darunter liegenden Bronzebrüsten sowie eine 16mm-Projektion von Deans Video „The Martyrdom of St. Agatha (in several parts)“ (1994). Der Legende nach wurden der heiligen Agatha von Catania vom Statthalter Siziliens die Brüste abgeschnitten, weil sie ihn zurückgewiesen hatte. Unterlegt mit einem dokumentarisch anmutenden Voice-Over, zeigen Deans Filmbilder etwa Statuen der heiligen Agatha oder Frauen, die in einer Werkstatt Gipsmodelle von Brüsten herstellen und verpacken. Ein gelungen poetischer Höhepunkt.
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The Others
12.11.2016 - 22.01.2017

König Galerie
10969 Berlin, Alexandrinenstrasse 118-121
Tel: +49 30 26 10 30 80
Email: info@koeniggalerie.com
http://www.koeniggalerie.com
Öffnungszeiten: Di-Sa 11h - 6h, So 13h -18h


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