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Es ist keine Frage des guten Geschmacks!

Im alltäglichen Sprachgebrauch wird Ekel meist zur Artikulation einer Abwehrhaltung, deren kulturelle Ausprägungen sich durch die jeweils vorgegebenen gesellschaftlichen Normen voneinander unterscheiden. Die emotionale Barriere, die durch den Ekel ausgelöst wird, gelangt durch heftige Körpergefühle wie Übelkeit und Brechreiz zum Ausdruck. Die Aversion gegenüber gewissen Verhaltensweisen führt zu Reaktionen wie Angewidertsein und Sichabgestoßenfühlen. Mario Perniola gelangt bereits im Anfangskapitel seiner Publikation "Ekel, Die neuen ästhetischen Tendenzen" zur Ansicht, dass der Begriff des Geschmacks immer politisch konnotiert ist. Heute vermag sich der gute Geschmack und die Ästhetik, so Perniola, nicht mehr gegen das durch die Medien verbreitete Abscheuliche und Schamlose zu behaupten. Wohingegen Immanuel Kant noch zur These gelangte, dass der ästhetische Geschmack in enger Beziehung zur demokratischen Gesellschaft steht. Perniola verweist hier auf die Thesen von Luc Ferry, 1992, der bei Kant die Möglichkeit eines intersubjektiven ästhetischen Gemeinsinns ortet, der innerhalb einer liberalen Demokratie funktioniert. Bereits mit Kant verliert der ästhetische Geschmack seinen spekulativen Charakter. Eine Verschiebung der ästhetischen Reflexion auf das Kunstwerk tritt mit Schelling und Hegel ein. Einen markanten Schnitt zur Genealogie des Geschmacks liefert Friedrich Nietzsche, der die These vertrat, dass gerade der universell akzeptierte Geschmack der Auslöser für den Ekel sei. Diese Attacke auf den guten Geschmack macht gegen eine idealistische Mentalität mobil, die den Menschen unter der Haut ignoriert - seine Gedärme, Exkremente, den Urin, die Spuke und das Sperma mit Abscheu behandelt. Der Ekel bildet dabei kein Negativ des Geschmacks, sondern die Erfahrung sich gegenüber dem guten Geschmack autonom zu verhalten. Mit Nietzsche beginnt der Übergang von einer Ästhetik des Geschmacks zu einer Ästhetik des Ekels, wie Perniola eindringlich skizziert. Perniola exerziert dabei die Verschiebungen der ästhetischen Reflexion von Kant bis Sloterdijk mit Querverweisen zu den Stoikern bis zu den Situationisten durch. Mario Perniola, Ekel, Die neuen ästhetischen Tendenzen, Verlag Turia + Kant 2003, Aus dem Italienischen von Nicole Finsinger, 197 S., EUR 15,-, ISBN 3-85132-271-1 www.turia.at
Mehr Texte von Ursula Maria Probst

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