Rainer Metzger,
Gefühl und Härte
Die Engländer, das waren bisher jene bis zur Exzentrik in den Diskurs ums Wetter vernarrte Gestalten, die einen garantiert in Ruhe ließen, wenn man beim Picknick auf dem peinlich gestutzten Rasen neben ihnen saß. Die Engländer, das sind jetzt die Typen am Nachbartisch, die in Nigel-Farage-Unflätigkeit herüberkrakeelen und gefälligst eine Antwort auf ihr „Where are you from?“ einfordern. Die Engländer, das waren bisher jene bis in die letzten Lower Classes von Solidarität und Bewusstsein ihrer gesellschaftlichen Stellung durchdrungenen Staatsbürger, die immer schon Imperialisten waren, aber eben keine Chauvinisten. Die Engländer, das sind jetzt die letztklassigen Prolls, die die Sau auf genau die Art raus lassen, auf die sie ihr Vorzeige-Aristo (Monty Python würde sagen: „Upper-Class twit of the year“) Boris Johnson dressiert hat.
Es ist nur ein Gefühl bisher, ein Verdacht, eine Psychopathologie des touristischen Alltagslebens, wenn man zu erkennen meint, dass der Brexit die Insulaner verändert hat. Und mit ihm das kulturelle Dasein. Nun hat Martin Roth, gebürtiger Stuttgarter,von 2001 bis 2011 Generaldirektor der Museen in Dresden und seither Chef des Victoria & Albert seinen Rücktritt angekündigt. Die Begründung ist eindeutig: Er will nicht weiterarbeiten unter den gegebenen Umständen eines Isolationismus, den sich die Briten an einem verregneten Donnerstag im Juni durch Anbringung eines Kreuzchens verordnet haben. Roth gehört zu den besonders Sensiblen. Die Frage ist, wenn Gefühl, Verdacht, Psychopathologie rumoren, ob er auch zu den Klugen gehört.
Roth ist ein gebranntes Kind. Er war verantwortlich für eine Schau namens „Die Kunst der Aufklärung“, die den Chinesen in deren Hauptstadt abendländische Selbstreflexion vorführen wollte und, im Grunde ganz erwartungsgemäß, in die Hose ging. Paktieren mit den Mächtigen löst in der Kultur immer schon Unbehagen aus. Die Frage ist, mit wem paktiert wird, wenn man die kleine Welt einer persönlichen Entscheidung mit dem Universum einer europaweiten Entwicklung kurzschließt. Auf seine Art wird Roth den britischen und auch sonst allerorts grassierenden Ressentiments zuarbeiten. Angesichts dieses großkopferten Direktors werden es die Kleingeister in ihren Jetzt-erst-recht- und Jetzt-erst-rechts-Wichtigtuereien immer schon gewusst haben.
Martin Roth, Foto: Victoria & Albert Museum
Auch eine Dialektik der Aufklärung. Gerade in England hat man den Eindruck, die Leute wollten in ihrer diffusen Unbehaglichkeit gegenüber dem, was sie da im Juni angerichtet haben, durch ein Maß an Exponierung, das man bisher vor Ort nicht kannte, die Richtigkeit des Brexit-Entscheids forcieren, beschwören einklagen, Einer solchen selbstjubilatorischen Gültigkeitserklärung kommt Roths von eigener Empörung diktierte Demission perfekt entgegen.
Chris Dercon, der Belgier ist, aber vom Haus der Kunst kam, verlässt die Tate Modern. Christoph Vogtherr hat sich von der Wallace Colletion verabschiedet. Jetzt geht Roth. Es bleibt Hartwig Fischer als Chef des British Museum.
Fischer war Roths Nachfolger in Dresden, bevor er dieses Jahr nach London ging – im April, als der Lauf der Zeit noch nicht so deutlich gebahnt war. Fischer hatte sich für seinen Abgang seinerseits ein gewisses Getöse einfallen lassen. An seinen Kunstsammlungen ließ er ein Transparent mit der Aufschrift „Ein Haus voller Ausländer“ anbringen. Und als er dann wegging, war der Verweis auf Pegida wohlfeil. Natürlich hat Fischer recht. Und Roth hat auch recht. Den aus dem Boden schießenden Unappetitlichkeiten muss begegnet werden. Aber nicht mit Empörung. Auf diesem Gebiet sind die Rechtsradikalen kompetenter.
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