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Karen Russo - Haus Atlantis: Die Gegenwart der Geschichte als Zukunft?

Im Künstlerdorf Worpswede ist jetzt in der Großen Kunstschau die Ausstellung „Haus Atlantis“ von Karen Russo zu sehen – eine spannende Collage zum Thema „rassistischer Größenwahn“. Der israelischen Filmkünstlerin Karen Russo gelingt es in ihrer Arbeit immer wieder gleichsam zeitlose Narrationen zu kreieren, in denen (mythische) Historie und Science Fiktion verschmelzen, um prekäre Gegenwart zu reflektieren. In ihrem aktuellen 16 mm-Film „Haus Atlantis“, 2014- 2016, setzt sich Russo mit nationalistischem Gedankengut auseinander, dieses in einer so intelligenten wie überzeugenden Verquickung der expressionistischen Ästhetik von Bernhard Hoetger (1874 – 1949), der völkischen Ideologie, die diese mitmotivierte, und einer fiktiven Naturkatastrophe, die das Künstlerdorf Worpswede, der langjährigen Heimat Hoetgers, in unserer Postmoderne heimgesucht hat. Der schnell geschnittene Film collagiert also historische Aufnahmen des „Haus Atlantis“, das 1930/31 in der Bremer Boettcherstraße nach Entwürfen des Künstlers gebaut wurde, mit aktuellen Bildern des Hauses, das heute als Hotel dient. Dazu kommen Szenen aus der Moorlandschaft von Worpswede, die von einem Trupp postapokalyptischer Wissenschaftler besucht wird, sowie Fotos von der vor- und frühgeschichtlichen Sammlung von Ludwig Roselius, dem Mäzen Hoetgers und Bauherrn des Atlantis Hauses. Roselius stand, wie der Künstler auch, völkischem Gedankengut nahe und wollte mit seiner Sammlung die Überlegenheit der germanischen Rasse beweisen. Diese zeitgeschichtlichen Versatzstücke und Fiktionen aus mehreren Jahrtausenden verwebt Russo dann zu einer nationalen Größenwahn thematisierenden Neuauflage des Atlantis-Mythos: eine fiktive Küstenstadt in Gestalt von Worpswede ist nach dem Austrocknen eines Meeres verödet und die dort noch lebenden Menschen sind von der „Seesucht“ infiziert, was zu einem weltfremden Realitätsverlust und daraus folgend zu dem Glauben führt, zu der einst weltbeherrschenden Rasse der Atlantis-Bewohner zu gehören. Außerdem haben die „Seesüchtigen“ jedwedes Zeitgefühl verloren, sie leben in einer „unbegrenzten Gegenwart“, dessen beinahe statischer Zeitverlauf der nationalistischen Idee eines „1000jährigen Reiches“ verwandt ist. Übrigens: Die Boettcherstraße und das Haus Atlantis befinden sich tatsächlich auf Grund und Boden, auf dem früher der Fluss Balge floss... Im zweiten Film der Ausstellung TET Stadt“, 2015, kombinierte Karen Russo die Kamerafahrt durch einem Model der TET-Stadt, die Hoetger 1916/17 im Auftrag des hannoverschen Keksfabrikanten Hermann Bahlsen plante, mit Aufnahmen aus Anton Kutters Film „Germanen gegen Pharaonen“, 1937. Die Retortenstadt “TET“ im altägyptischen Stil sollte ideale Wohn- und Arbeitsstätte für die Bahlsen-Angestellten sein, wurde aber nie realisiert, in Kuttners Film diskutieren nationalistische Wissenschaftler ernsthaft, ob die Pyramiden nicht vielleicht doch germanischen Ursprungs seien. Wieder werden Fiktionen der Geschichte zur Folie eben der fatalen sehnsüchtigen Hybris, die leider heute wieder auf der Tagesordnung aktueller Politik steht.
Mehr Texte von Raimar Stange

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Karen Russo - Haus Atlantis
20.06 - 23.10.2016

Große Kunstschau Worpswede
27726 Worpswede, Lindenallee 5
http://www.worpswede-museen.de/grosse-kunstschau/grosse-kunstschau.html
Öffnungszeiten: täglich 10-18 h


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