Rainer Metzger,
Ganz Alte Meister – zwei Ausstellungen am Oberrhein
Der versunkene Schatz, Antikenmuseum Basel
Dass die alten Römer manische Ansichraffer waren, gehört zu ihrem Imperialismus. Entsprechend hatten sie auch Gier nach Kunst, Ciceros im Jahre 70 v. Chr. verlesene Anklageschrift „In Verrem“, die es auf die ausbeuterischen Praktiken eines Statthalters auf Sizilien abgesehen hat, spricht diesbezüglich Bände. Es ist ein schöner historischer Zufall, dass eben um dieses Jahr 70 auch materielle Belege für ihre einschlägig überspannte Art von Sammeln zustande gekommen sind. Man musste sie vom Meeresgrund holen, denn es war ein Schiff, das auf dem Weg vom griechischen Kleinasien ins römische Süditalien seine überbordene Ladung an später einmal wertvollen Gegenständen verlor. Das Wrack vor der Insel Antikythera steht samt seinen Schätzen im Mittelpunkt einer schönen Präsentation im Antikenmuseum in Basel. Die Schau ist die Adaption einer zwei Jahre dauernden Ausstellung im Archäologischen Nationalmuseum in Athen, und sie taucht ganz buchstäblich hinein in eine versunkene Welt.
Ausstellungansicht Antikenmuseum Basel, Foto: Ruedi Habegger, © Szenographie: Studio Adeline Rispal
Ziemlich in Mitleidenschaft gezogen präsentieren sich die Fundstücke. Es sind die üblichen, Münzen, Amphoren, Gläser, Klein- und auch Großplastiken, die gesamte Importware, auf die es die Römer abgesehen hatten, weil sie selber als Barbaren nicht so geschickt waren im Ziselieren. Interessant speziell die Marmorskulptur eines jugendlichen Ringkämpfers, die zur Hälfte im Sand steckte und sich genau in dieser Hälfte von perfektem Erhaltungszustand zeigt. Das Beste steht am Anfang und am Schluß: Dort gibt es aus anderem Kontext stammend einige jener wunderbaren Bildwerke, die man einfach Antiken nennt; hier hat man ein ziemlich mysteriöses mechanisches Gerät rekonstruiert, das sich mit an Bord befand und der Paralellisierung von Datum und Sternenkonstellation diente: Ein Schweizer, ein Grieche und ein Brite haben sich an dem Uhrwerk versucht, von dem man nur vage weiß, wie es funktionierte. Der Zahn der Zeit, der schon so manche Träne getrocknet hat, konnte also auch über diese Wunde Gras wachsen lassen.
www.antikenmuseumbasel.ch
Die gotische Revolution, Musée de l'oeuvre de Notre-Dame, Straßburg
Nicht weniger angenagt präsentieren sich die Exponate in Straßburg. Hier hat der Zahn der Zeit ein spezielles Datum, es nennt sich 1789ff. Der gotischen Revolution, der das Museum der Bauhütte der Straßburger Kathedrale, auf deutsch Frauenhausmuseum genannt, nachspürt, ist eine andere Revolution gefolgt. Nicht auszudenken, hätten die Weltverbesserer damals schon Dynamit besessen.
Um 1200 jedenfalls begann man den peu à peu ins Werk gesetzten Neubau, der der 1015 erstmals erwähnten und damit 1000 Jahre feiernden Basilika folgte, mit Skulpturen auszustatten. Die bedeutendsten sind um 1230 entstanden, und sie stehen im Mittelpunkt der Präsentation. Manches, speziell der berühmte Engelspfeiler, musste aus verständlichen Gründen vor Ort bleiben, vieles ist bestenfalls noch fragmentarisch erhalten. So konzentriert sich die Schau auf die beiden Spitzenstücke, bei denen kein Auge trocken bleibt.
Münster Straßburg
Ecclesia und Synagoge sind dargestellt, die Kirche und ihre jüdische Konkurrenz, es sind also Personifikationen, und sie sind weiblich. Sie sind ausgesprochen weiblich. Speziell die Synagoge darf zeigen, was sie hat. In einem Realismus, der bis dahin, jedenfalls im Mittelalter, nie so deutlich war wie hier, ist ein mädchenhaft graziler Körper ausgebildet, und die Falten, die kaum andeuten, dass er so etwas wie bekleidet ist, bringen die Formen aufs Delikateste zur Geltung. Womöglich ist diese Andeutung von Ausgezogenheit dem Thema entsprechend herabwürdigend gemeint. Doch tut das uns Heutigen nichts zur Sache. Die Gotik ist diejenige Epoche, da offenbar wird, dass die Leute das sehen wollen, was sie glauben sollen. Bisweilen konnte man da regelrecht vom Glauben abfallen. Wie sagt Héloise über ihre Nächte mit Abélard: „In unserer Gier genossen wir jede Abstufung des Liebens, wir bereicherten unser Liebesspiel mit allen Reizen, welche die Erfinderlust ersonnen. Wir hatten diese Freuden bis dahin nicht gekostet, und genossen sie nun unersättlich in glühender Hingabe, kein Ekel wandelte uns an“. So funktionieren Revolutionen.
www.musees.strasbourg.eu
Mehr Texte von Rainer Metzger