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Bilder von Wienern: Zu ebener Erde und im ersten Stock

Seit es die Fotografie gibt, hält man ihr zugute, daß sie so etwas wie die ungeschminkte Wahrheit fixiert. Seit es Medientheorie gibt, also in etwa genauso lang, weiß man, daß mit jedem Bild manipuliert werden kann. Charles Baudelaire hat schon in der Anfangszeit des Lichtbildes die Paradoxie auf eine unwiderstehliche Formel gebracht: Der Fotograf wolle die Dinge wiedergeben, wie sie wären, wenn er nicht da wäre. Allein, er ist da, so notwendigerweise präsent wie in keinem anderen Medium. In einer sehenswerten Zusammenstellung präsentiert das Museum auf Abruf momentan \"Bilder von Wienern\". Verstanden als Beitrag zum Nestroy-Jahr will man zeigen, daß hinter des Eingeborenen Fassade auch ein Oberstübchen haust, zwar nicht zu ebener Erde, aber vielleicht im ersten Stock. Das Foto soll gleichsam völkerkundlich funktionieren, Physiognomien darbieten, eine Mentalität sichtbar machen irgendwo zwischen Verwienerung und goldenem Wienerherz. Freakig ist es allemal, was Franz Hubmann oder Leo Kandl, Harry Weber oder Didi Sattmann auf die Platte bannten. Doch sind diese Leute wirklich Typen? Und wo ist die Instanz der Typisierung? Ist es das Bild oder ist es die Ein- und Vor-Bildung, die man an die Gestalten heranträgt? Andreas Baumanns \"Autofahrer\" jedenfalls tragen den International Style des Mürrischseins zur Schau, und wer je einer Pariser Concierge ins Gesicht geblickt hat, findet auch zu Sepp Dreissingers \"Hausmeistern\" Zugang. Sattmanns FKKler in der Lobau sind so anheimelnd wie die Nackerten im Münchner Englischen Garten und Marianne Grebers Innenansichten einer Demonstration vom letzten Jahr zeigen, was sich auch in anderen westlichen Ländern manchmal so zuträgt. Daß dennoch so etwas wie Lokalkolorit durchscheint, liegt an einer Motivwahl, in der sich das Raffinierte und das Naive kreuzen. Harry Webers \"Wiener Typen\" haben ein Durchschnittsalter von mindestens 80 Jahren, desgleichen die \"Wiener Frauen\" von Marcelo Perocco, und Willy Puchner hat sich gleich \"Die 90-Jährigen\" vorgenommen. Vielleicht sind die Alten wirklich noch jene Originale, die die weltweite Nivellierung der Milieus längst unmöglich gemacht hat. Wahrscheinlicher aber führen sie die einschlägige Mimik und Gestik schlicht als Altererscheinung vor: Hängende Backen, eingefallene Gesichter, gekrümmte Rücken und ein etwas verlotterter Habitus. So stellt man sich die Wiener vor: Einsam, melancholisch, im Herzen den Traum von jenem besseren Leben, das man längst versäumt hat.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Bilder von Wienern
25.06 - 13.10.2001

MUSA
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