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Ausstellungen in München: Drei Kurzkritiken

Jean-Paul Gaultier in der Hypo-Kunsthalle Wie alles unter den Retro-Methoden ist auch der Geist der Achtziger unsterblich. Jean-Paul Gaultier, der Modemensch, hat aus diesem Geist heraus mit Madonna, der Musikfrau, mit Peter Greenaway, dem Cineasten, oder mit Pierre & Gilles, den deklarierten Kitschiers der Kunstszene, zusammengearbeitet, er hat sie ausstaffiert nach allen Regeln des Hybriden. Seine Kreationen sind himmelschreiend hochgetürmt, und bei aller eigenen Postmoderne wünschte man ihm ein wenig „Less Is More“, wenn er dem Rabbineraufzug Punk und Vogue und Voodoo aufpfropft, alles vernäht mit seinem typischen Seemannsgarn, und überhaupt nicht mehr aufhören kann mit der Überkodierung. Sage und schreibe 170 Defilees hat er ersonnen. Natürlich bedarf es da einer perfekt kalkulierten Kombinatorik, das Korsett und die Matrosenmontur sind gut abgehangen als Markenzeichen seiner Couture. Impression der Ausstellung »Jean Paul Gaultier. From the Sidewalk to the Catwalk« in der Kunsthalle München, 18. September 2015–14. Februar 2016 Die Ausstellung, in Kooperation mit dem Museum in Montreal und mit dem Meister selbst realisiert, versucht der Überbordendheit zu entsprechen. Vieles an Gaultiers typischer Queer-ligkeit hat sich im Fundus erhalten, die Mannequins sind per Projektion in ihrer Mimik animiert, als hätte ein weiteres Eighties-Urgestein, Tony Oursler, mitgewirkt, und am Ende defilieren die Puppen per Laufband über den Catwalk. Seitlich goutieren die Szene die, die in der Realität da hingehören, Anne Wintour oder Grace Coddington von der amerikanischen Vogue, Christiane Arp von der deutschen, dazu Diven wie die Deneuve und solche, die es nicht ganz geschafft haben, wie Nana Mouskouri. Gaultier hat sie per Frisur unverwechselbar gemacht und ihnen Kostüme auf den Leib geschneidert. Zu allerletzt ein bayerisches Arrangement mit Lederhosen, Brezen und Holz vor der Hüttn. Der Geschmack von Bad Clothing – Good Art war immer schon bei Gaultier. Erich Kästner im Literaturhaus In den späten Zwanzigern entwickelte man den Begriff „Gebrauchslyrik“, und er hoffte „fast, mit dabei zu sein“, wie er seinerzeit kokett zu Protokoll gab. Erich Kästner war im polyglotten Berlin für alles Schriftstellerische zuständig, was lebensnah und alltagstauglich und leserfreundlich sein durfte, er schrieb Dreh- und Kinderbücher, stattete die Feuilletons mit locker Gereimtem aus, gab sich, denn da stand der Geist, links und hatte damals seine beste Zeit. Dann kamen die Nazis, stellten ihn kalt, er reagierte mit Pseudonymen und der Weigerung zu emigrieren. Nach dem Weltkrieg war er der beste der möglichen Deutschen, weder Liebediener noch Vaterlandsverräter. Die Amerikaner machten ihn, das geschah dann in München, zum Belletristikfunktionär. Womöglich deswegen blieb die neue Avantgarde ihm verschlossen. Ausstellungsansicht Literaturhaus München, © Catherina Hess Wie gut man Autoren und die Dokumente, die sich um sie ranken, ausstellen kann, zeigt seit Jahr und Tag das Deutsche Literaturarchiv in Marbach. Das Literaturhaus in München ist so etwas wie die regionale Variante, doch war die Stadt immerhin bis vor einiger Zeit neben New York das Verlagszentrum weltweit. Der Anspruch des Hauses, das sich Münchens Literaten widmet, scheint da allzu gering, die Kästner-Schau verströmt einen Mief, als müsste sie die Fünfziger lebendig machen. Viel zu eng, mit viel zu wenig attraktiven Exponaten, gemacht allein, um den Audioguide zu inszenieren, der ausschließlich Kästner zitiert. Auch wenn nicht alles gut ist von Kästner – „Fabian“ etwa ist ziemlich missglückt: Ein wenig seiner Bedeutung gemäßer dürfte er schon dargestellt werden. Dexter Sinister im Kunstverein Kunstvereine funktionieren auf ihre Art wie Opernhäuser. Wenn sie nicht einst etabliert worden wären, gäbe es sie längst nicht mehr. Die eine Institution vollzieht mit ungeheurem Aufwand und naturgemäßer Theatralik was meist auf Konserve besser zu haben wäre. Die andere reproduziert sich selber, weil sie eine genuine Ästhetik der Zurückhaltung produziert, die wiederum meist aus Reproduziertem besteht, aus Gedrucktem, Kopiertem, aus CD- und DVD-Konformem, und damit die Konserve zur Raison d'Etre macht. Eine solche Kunstvereinskunst ist jetzt im Kunstverein München ausgestellt. Dexter Sinister ist ein britisch-amerikanisches Duo, hat nichts mit einer zwielichtigen Figur aus einem morbiden Märchen zu tun, sondern bezeichnet sich danach, was auf lateinisch Rechts Links heißt. Das Duo arbeitet sich an Logos ab, an Typografien, an der Wechselwirkung von Geist und Buchstabe und erläutert dies anhand von Filmen und viel Leere, die sich notgedrungen ergibt, wenn das Gezeigte eher literal als piktoral daherkommt. In diesem Frühjahr waren Dexter Sinister in Bregenz mit ihrer einschlägigsten Arbeit zu sehen, der Projektion eines sich drehenden Asterisks, des Sternchens, mit dem man im Text auf eine marginal stehende Anmerkung verweist. Sie waren in der KUB Arena zu sehen, dem Project Space des Hauses. Kunstvereinskunst ist Projectspacekunst.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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