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Die ganze Welt in Zinn

Wer sich mit dem Sammeln von Zinnfiguren näher beschäftigt, stellt bald fest, dass es nahezu keine thematischen Beschränkungen gibt. Es ist also ratsam, sich auf ein bestimmtes Gebiet zu spezialisieren, ganz gleich ob es sich um antiquarische oder neue Zinnfiguren handelt. Zinn mit Geschichte Die Herstellung von Figuren aus Zinn reicht bis ins Mittelalter zurück. Laut Überlieferung wurden Pilgerabzeichen von Kindern als Spielzeug verwendet. Abbildungen von Heiligen oder Tieren waren bevorzugte Motive. Erst 1578 wurde Zinngießern und Geschmeidemachern die Erlaubnis erteilt, Zinnfiguren als "Kindswerk" anzufertigen. Andenken, Devotionalien oder für Kinder miniaturisierte Altargerätschaften, sowie Ausstattungen für Puppenküchen und Puppenhäusern, sind aus dieser Zeit bekannt. Die Hochblüte der Zinnfigur begann Mitte des 18. Jahrhunderts. In der Spielzeugstadt Nürnberg war die Werkstatt Johann Gottfried Hilperts (1732-1801) von besonderer Bedeutung: Flachfiguren (also nicht dicker als 1 mm) mit Tierdarstellungen, Schachspiele, Soldaten, aber auch Einzel-Figuren, teils signiert und datiert, wurden dort hergestellt. Der auf Zinn-Spielzeug spezialisierte Händler Stahl bot in seinem Katalog um 1800, "Militaire, Jägereyen, Ländliche Vorstellungen, Wägen, Hausgeräthe, Portaits en Medaillon", in Größen von 50 bis 76 mm, oder Einzelstücke bis 150 mm, an. Figuren mit Standplatte fanden ab Mitte des 18. Jh. weite Verbreitung. Der für das 19. Jh. maßgebende Hersteller Ernst Heinrichsen (1809-1888) setzte bereits auf Massenproduktion: die 1839 gegründete "Zinn-Compositions-Figuren-Fabrik" stellte Figuren in einer Höhe 28 bis 30 mm her und begründete damit das "Nürnberger Maß" (im Gegensatz zum Hannoverschen mit 40mm), das die serielle Fertigung und Sortimentserweiterungen begünstigte. Seit 1924 ist die Nürnberger Größe als international maßgeblich anerkannt. Der Verkauf der Zinnfiguren erfolgte im 19. Jh. oft nicht einzeln, sondern in Packungen und nach Gewicht. Wollte man eine Figur nach eigenen Entwürfen, so war dies bei Heinrichsen ab einer Bestellung von 3000 Stück möglich. Zinnfiguren heute Die meisten heute noch tätigen Hersteller traditioneller Zinnfiguren können oft auf eine lange Firmengeschichte zurückblicken. Die älteste noch tätige Offizin in Deutschland, die Zinnfigurenmanufaktur Schweizer in Diessen am Ammersee, ist seit 1796 mit Zinnguss beschäftigt. Vormals "Kranzl und Bettermacher" hatte man sich zunächst auf die Produktion von Rosenkränzen und Ablaßpfennigen verstanden. Etwa 600 im Ammerseegebiet Ansässige fanden im 18 Jh. in der vorindustriellen Fertigung von Wallfahrtstafeln oder Altarspielzeug (u.a. Rauch fässer, Monstranzen ) ihr Auskommen. Die beim Bau der Diessener Barockkirche nichtverwertbaren Steine aus Jura-Marmos dienten zur Herstellung von Gußformen. Die ältesten noch erhaltenen Zinnfiguren aus der Zinnmanufaktur Schweizer, enstanden, laut Gunnar Schweizer Sen., um 1760: Es sind dies eine Bürgerwehr, stilistisch sehr einfach gehalten, sowie ländliche Szenen (Schäfereien). Christbaumschmuck aus Zinn ermöglichte eine neue Einnahmequelle, war allerdings deutlich regional begrenzt. Der aufkeimende Nationalismus unter Bismarck färbte auch auf die Zinnfiguren ab. Speziell der siegreiche Krieg gegen Frankreich 1870/71 sorgte für verstärkten Einzug der Zinn-Soldaten ins Kinderzimmer. Heute umfaßt das Angebot der Zinnmanufaktur Schweizer insgesamt 8000 Artikel. In Wien ist die Fa. Kober mit ihrer Vielzahl an Zinnfiguren für Sammler die erste Adresse. Michael Wollner, der die Zinngießerei begründete, kam 1884 nach einer Ausbildung zum Zinngiesser nach Wien. Das heute noch auf Wunsch lieferbare Wollnersche Sortiment umfaßt neben militärischen Zinnfiguren ein reichhaltiges ziviles Repertoire: So können Zirkus-, Alltags-, sowie Märchenszenen nachgestellt, oder Parklandschaften samt dem musizierenden Strauß-Orchester gestaltet werden. Viele Figuren werden teils halb- oder vollplastisch angeboten. Anders die "Berliner Zinnfiguren": 1934 begann Firmengründer Werner Scholtz mit der Herausgabe eigener Kulturhistorischer Zinnfiguren und setzte damit ein neues Signal zur Entwicklung der hochwertigen Zinnfigur. Von Liebhabern und Fachleuten in aller Welt anerkannt, wurde so aus Kinderspielzeug ein gesuchtes Sammlerobjekt. Die "Kulturhistorische Zinnfigur" entspricht denn auch bis ins kleinste Detail und Bemalung der historischen Vorlage. Die technische Seite Zinnfiguren lassen sich in drei Arten unterteilen: flach, plastisch und vollplastisch. Allen gemeinsam ist, dass sie, aus einer Zinn-Blei-Legierung gegossen werden, wobei das Zinn-Blei-Verhältnis je nach Typ variiert. Den höchsten Zinnanteil haben flache Zinnfiguren, bei den plastischen und vollplastischen überwiegt jedoch in der Regel der Bleianteil, daher die Bezeichnung "Bleisoldaten". Zinnfiguren werden entweder im Guß- oder Schleuderverfahren hergestellt. Die Zinn-Blei-Legierung ist relativ weich. Filigrane Teile einer Zinnfigur können also leicht bei unsachgemäßer Behandlung verbogen werden und abbrechen. Direkte Sonneneinstrahlung ist solchen Figuren ebenso nicht zuträglich. Die Gußformen werden aus Jurastein, Schiefer, teils auch aus Rotguß oder Stahl hergestellt. Ohne die Eigenleistung zu rechnen kommt die gewerbliche Herstellung eine Form auf etws 700 bis 1000 Euro. Für Sammler sind alte Formen, ein ebenso reizvolles Gebiet, falls man der Verlockung nachgeben möchte, selbst einmal eine Figur giessen zu wollen. Die Flachfigur ist die filigranste unter den Modellfiguren und seit Ende des 18. Jahrhunderts weit verbreitet. Halbplastische Figuren sind deutlich kräftiger modelliert als die Flachfigur, aber dennoch aus einer Form im Stück gegossen und eben nicht dreidimensional. Vollplastische Figuren hingegen werden in Einzelteilen hergestellt und in der Regel mittels Zwei-Komponenten-Kleber zusammengefügt. Das Ursprungsland dieser Figuren ist Großbritannien. Namhafte Hersteller finden sich außer in U.K. und USA auch in Frankreich, Spanien, Italien, Russland und in Deutschland. Hier dienen nicht nur historische Themen als Anregung : Im SciFi-Bereich als Einzelfigur und durch Fantasy-Spielen haben Zinnfiguren einen besondere Aktualität. Literatur zum Thema (meist nur mehr antquarisch zu finden) Schirmer, Friedrich : Umgang mit Zinnfiguren.- Burgdorf 1965 Ortmann, Erwin : Zinnfiguren einst und jetzt.- Edition Leipzig 1973 In Katzelsdorf/ Nähe Wr. Neustadt ist für Frühjahr 2004 die Eröffnung eines Zinnfiguren-Museums geplant. Websites von Zinnfiguren-Herstellern Babette Schweizer www.schweizerzinn.de Josef Kober www.kobertoys.com Berliner Zinnfiguren www.zinnfigur.com
Mehr Texte von Thomas Kahler

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