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Frühe Moderne

Am 10. Mai 1771, so will es ein Bonmot, entsteht die Moderne. Sie entsteht mit dem zweiten Brief Werthers, in dem er schildert, wie „tausend mannigfältige Gräschen mir merkwürdig werden“. Mit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts und einer Figur Goethes als Gründungsgestalt werden die Dinge bemerkenswert in ihrer puren Erscheinung. Goethes Freund und Kombattant Johann Gottfried Herder wird diese neue Aufmerksamkeit für das Beiläufige „Phänomenologie“ nennen, Schiller, nicht minder Freund und Kombattant, wird es als das „Sentimentalische“ apostrophieren, das dem „Naiven“ einer selbstverständlichen Existenz in und mit der Natur gegenüberstünde. Vielfalt paart sich dabei mit Einfalt, denn die schiere Exuberanz der Erscheinungen entsteht erst mit der Bereitschaft, sie eben pur, ohne den Hintergedanken des Metaphysischen zu nehmen. In den ersten Jahrzehnten des neuen Jahrhundert findet dann eine Art Inventur dessen statt, was sich alles an Modernität ereignet hat. Was man so bezeichnend „Biedermeier“ nennt – bezeichnend deshalb, weil dabei aus einem Pejorativ ein Prädikat geworden ist –, wäre der Stil dazu. Es ist ein veritabler International Style, und seine Signaturen tauchen europaweit auf: Die Idee der Intimität etwa, nichts anderes als die soziale Erscheinungsform des Selbstbezugs, überwindet spielend die Kontinentalsperre. Der Dandy und der Salon, die Passage, das Museum und die als Innenräume konzipierten Prachtstraßen wie die Pariser Rue de Rivoli oder die Londoner Regent Street finden so ihre Konjunktur. Und nicht weniger die Bauernstuben. Die Theorie zur Ästhetik dazu ist, wie gern in der Moderne, genuin deutschsprachig. Georg Wilhelm Friedrich Hegel gibt mit seiner Ende der 1820er Jahre erdachten „Ästhetik“ den Kompilator schlechthin der neuen Entwicklungen ab. Er hat die Haltung, die sie auf den Weg brachte, genau gekannt: als den „Durst nach dieser Gegenwart und Wirklichkeit selbst, das Sichbegnügen mit dem, was da ist.“ Ferdinand Georg Waldmüller, Erschöpfte Kraft, 1854 Öl auf Leinwand, 63 x 75 cm, © Belvedere, Wien Die Bilder wiederum reden bevorzugt österreichisch. Gerade feiert Ferdinand Georg Waldmüller seinen 150. Todestag, und das Belvedere feiert mit in Gestalt einer ein wenig lustlos betriebenen Hommage an den Meister in zwei Sälen des Obergeschosses, hinten links im Mezzanin des Piano Nobile. Das angestammte Repertorie, Porträts, Landschaften, Kinder- und Genreszenen aus eigenem Bestand, ist versammelt und zeigt Waldmüller, geboren gut zwanzig Jahre nach Werthers Erweckungserlebnis, als Späten unter den Frühen. Es war, in Österreich ist der Bezug obligatorisch, die Epoche des Nachsommers. Was in Stifters Jahrhundertroman so seltsam wie zeitüblich konstruiert wird – der junge Mann, der sich freiwillig ins Austraglertum begibt, ohne die dafür grundlegenden Lebenserfahrungen gemacht zu haben – gilt auf seine Art genauso für Waldmüllers Hochzeiter, Bauernanwärter und angehende Karrieristen. Sie verkörpern eine Jugend, die ihnen in der Rasanz der Zeit längst genommen sein wird. Da hilft ihnen auch der Gout des Ursprünglichen wenig. www.belvedere.at
Mehr Texte von Rainer Metzger

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