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Strafzettel

Manchmal erinnern einen die kleinen Dinge des Lebens daran, dass in aller Ungebrochenheit möglich wäre, was seinerzeit im Dritten Reich möglich war. Neulich fuhr ich also am Abend mit meinem Auto ohne Licht, es fiel nicht auf in einer ohnedies taghell bestrahlten Szenerie, aber es war auf seine Art eine Übertretung. Da kam mir einer entgegen, und er fuhr auf meiner Straßenseite, und er hatte nicht die Absicht, daran etwas zu ändern. Er stellte sich vor mir auf und wies mich in recht beleidigenden Worten auf die Scheinwerfer hin, die nicht angeschaltet waren. Er hatte mich bei einer, nennen wir es so, Illegalität erwischt, und das nutzte er, um auf seine Weise ein Exempel zu statuieren. Nicht auszudenken, wenn dieser Charakter von einer staatlichen Politik unterstützt würde, die eine Gesetzlosigkeit, wie ich sie für den Moment verkörperte, forcierte und sie zum Anlass für Sanktionen nähme. Der Charakter würde kenntlich als das, was er ist: autoritär. Die Stadt, in der sich die Geschichte abspielte, ist Karlsruhe. Zu den Feierlichkeiten zum 300. Geburtstag (und damit zur Bejubelung eines Alters, das auch gewisse Tankstellen im mittleren Westen aufweisen) gibt es jetzt allerlei Kunstaktionen. Dazu gehört natürlich auch die Bespielung des öffentlichen Raums, und eben hier hat sich letzte Woche eine kleine Illegalität ergeben. Erwin Wurm stellte eine seiner Kurzzeitsensationen ins städtische Ambiente, es war ein auf Wurms einschlägige Art hochgebogenes Auto, die Vorderräder standen am Pflaster, der Rumpf zog sich über den Wegrand hinüber eine Hausfassade hoch. Klar, dass das Gebilde, das einem Fahrzeug durchaus ähnlich sah, sich auch so benahm: Es parkte, und das natürlich in der Verbotszone. Müßig anzumerken, dass die Exekutive einschritt. Das Foto mit dem Strafzettel machte gleich die Runde. Nun hat sich die Obrigkeit in der Causa zu Wort gemeldet, das heißt der zuständige Beamte wurde interviewt von der „Süddeutschen Zeitung“. Folgendes gab er nun er zu Protokoll: Das Ganze sei „eine humoristische Aktion“ gewesen, eine „Schmunzeleinlage“, man wollte „den Menschen zum 300. Stadtgeburtstag einfach nur ein Lächeln ins Gesicht zaubern“. Kein Aufbegehren gegen Andersheit. Keine Reviermarkierung des gesunden Menschenverstands. Nicht einmal Aufstand der Massen. Sondern Scherz, Satire, Ironie. Sozusagen der Genius Ioci. Der Interviewer von der SZ hat ihm die Erklärung abgenommen. Bleiben wir in Karlsruhe. 50 Meter von meinem Büro entfernt gibt es einen Zebrastreifen. Die Stadt ist ja sehr umweltfreundlich, es wird viel geradelt, natürlich steigt keiner ab, um diesen Überweg zu passieren, und so gibt es ein reges Kommen und Gehen, das die Nerven strapaziert. Vor einiger Zeit hat also ein PKW-Lenker einen Radler angefahren, wie es sich gehört blieb er stehen, doch nicht um des Austauschs der Personalien willen, sondern zum Zwecke eines Ordnungsrufs. Er beschimpfte den am Boden Liegenden, wies ihn auf die Notwendigkeit des Absteigens hin, und dann fuhr er weiter. Im übrigen nehme ich dem Strafzettelverteiler seine Erklärung nicht ab. Erwin Wurms Transporter mit "Knöllchen". © Bildrecht, Wien 2015, Foto: ZKM
Mehr Texte von Rainer Metzger

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