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Grexit

Als ich vor fünf Jahren an dieser Stelle über die „Griechenland-Krise“ sinnierte, hat der Herausgeber meinen Text mit einem Bild von Erdnüssen illustriert. Die Anspielung auf die Hülsenfrucht war sozusagen wohlfeil, ging es seinerzeit doch tatsächlich um ökonomische Dinge. Der Sager des ehemaligen Deutsche-Bank-Chefs Hilmar Kopper aus dem Jahr 1994, 50 Millionen (damals D-Mark) an gesellschaftlichem Schaden seien „Peanuts,“ traf die Mentalität derer, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichern, auf den Punkt. Das anhand Griechenlands zum Thema zu machen, war damals selber schon Peanuts. Es war längst eine Selbstverständlichkeit, dass Defizite sozialisiert werden, während Gewinne privatisiert sind. Mehr denn je ist Griechenland ein Beispiel für diesen Mechanismus. Was sich geändert hat, ist, dass das Ökonomische in diesen Wochen, da der Abschied des Landes aus gewissen europäischen Zusammenhängen in der Luft liegt, keine große Rolle mehr spielt. Dass die anderen zahlen werden, und die anderen das sind weiterhin die Allgemeinheit von Steuerpflichtigen, steht außer Zweifel. Was jetzt debattiert wird, ist, ob die Griechen, sollten sie es wollen, es auch dürfen: Ob ein Ausstieg aus EU, EZB, EuGH überhaupt möglich ist. Man tut so, als sei diese Debatte politisch. Sie ist aber nicht politisch. Sie ist moralisch, und nur unter den Bedingungen moralisch aufgeladener Rigorosität kann eine Vorstellung von Integration zustande kommen, die einen Ausstieg aus den europäischen Zusammenhängen für nicht vorgesehen hält. Die, nennen wir sie so, europäische Einigung ist historisch zustande gekommen. Und Historie ist Veränderung. Ob man nun ewige Treue schwört, ewigen Frieden in Aussicht stellt, ewige Zusammenarbeit vereinbart: Die Geschichte wird souverän beweisen, dass es damit irgendwann ein Ende hat. Womöglich ist dieses Irgendwann schon nächste Woche. Wieder einmal nächste Woche, wie bei den anderen Ewigkeiten, die es in den letzten Jahrtausenden reichlich gegeben hat. Tatsächlich war die europäische Einigung einst ein moralisches Projekt. Die Moral bestand darin, dass nach über 1.100 Jahren die Deutschen und die Franzosen es dauerhaft schafften, sich nicht mehr zu bekriegen. Nach und nach traten diesem Bündnis, das einem Frieden verpflichtet war, die Nationen bei, die in den 1.100 Jahren des Dauerstreits entstanden waren, weil sie zwischen den Kontrahenten lagen, Niederlande, Belgien, Luxemburg und Italien. Das Projekt war ziemlich erfolgreich, vor allem auch wirtschaftlich, und es kamen die Pursuits of Happiness der vielerlei Länder, die partizipieren wollten an einem Reichtum, der sich auch noch so schön moralisch verbrämen ließ. Plötzlich stand das Projekt im Raum als unabdingbar, unablösbar, unveränderbar. Wir haben von den Griechen gelernt, was Geschichte ist. Jetzt können wir von ihnen lernen, dass es Geschichte auch heute noch gibt. Kaum zu glauben: Ein Grexit ist möglich.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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