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Blut & Honig - Zukunft ist am Balkan: Leitfaden Szeemannsgarn

"Blut & Honig" hätte im Belvedere stattfinden müssen. Eine Ausstellung, die in Ex Cathedra-Geste konstatiert "Zukunft ist am Balkan", hätte in den dritten Bezirk gehört, denn dort beginnen recht eigentlich die Gebirge, Schluchten und Unwägbarkeiten des wilden Europa. Doch Harald Szeemann, das Urgestein, darf die Landkarte sowieso mit dem bestücken, was seine eigenen topografischen Kenntnisse hergeben. Also gehört Moldawien zum Balkan, Ungarn nicht, dafür die Türkei. Und die Sammlung Essl hat zum ersten Mal den gesamten ersten Stock geräumt, das heißt verschwinden lassen, was als ständige Kollektion dort ihr Wesen treibt. Es gereicht dem Haus nicht zum Schaden. Vor allem liegt das an Szeemann selbst. Nach alter wie altbackener, orthodoxer wie autonomer Manier hat Szeemann die Länder und Lokalitäten bereist, Ateliers und Atmosphären gesucht und Arbeiten. 73 künstlerische Positionen fanden Gnade vor den Augen des Kurators. Wenn jemand anderes so verfährt, dann riecht das nach eingeschlafenen Füßen. Bei Szeemann wird es, wenn es gut geht, was er eine "eigene Welt" nennt. Diesmal ging es wieder gut. Szeemann verweigert, anders als so manche Ostler-Schau in diesen Tagen, den Künstlern nicht ihre ganz spezifische Vergangenheit. Also prangen Sozialismus-Devotionalien in der Stellage, Tito-Büsten und Freiheitskämpfer-Monumente, und ein Seitenhieb auf die Gender-Herlichkeit ist auch dabei, denn natürlich kleidet sich die Partisanin ganz ins Maskuline, wenn sie als Heroine vorgeführt wird. Viele der Exponate, die frühesten stammen aus den Sechzigern, hängen auf Gedeih und Verderb an der Nabelschnur der glücklichen Arbeiter und Bauern. Und weil man vielleicht gerade auf dem Balkan weiß, dass Realität immer schon frisiert ist, verzichtet die Schau auf den seit der letzten documenta besonders grassierenden Dokumentarismus. Kaum eine der Arbeiten scheut den ästhetisierenden Eingriff, man setzt auf Dichte und Verdichtung, auch um den Preis von Hybridität, Überkandideltheit und Nähe zum Kitsch. Das Foto vom Plattenbau jedenfalls bleibt einem weitgehend erspart. Dass Szeemanns Primat der Präsentation gilt und nicht der politischen Referenz, sieht man seiner Ausstellung an. Ihr roter Faden ist reinstes Szeemannsgarn. Doch es führt nicht in die Irre.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Blut & Honig - Zukunft ist am Balkan
16.05 - 28.09.2003

Essl Museum
3400 Klosterneuburg, An der Donau-Au 1
Tel: +43-2243-370 50 150
http://www.essl.museum
Öffnungszeiten: geschlossen


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