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Beute und Bedeutung

Seit die abendländische Sektion der Menschheit sich von Gott verabschiedet hat, ist die Kunst für das Höchste, Großartigste, Besonderste zuständig. Und weil es im Ästhetischen so exuberant zugeht, erwartet man sich von ihm stets und immer wieder aufs Neue die geballte Unhintergehbarkeit, Unwiederbringlichkeit und Überwältigung. Unvergesslich die Notizen eines Museumswärters in Berlin-Dahlem, in denen er Fragen der Besucher aufschrieb: "Ist die Sixtinische Kapelle auch hier?", wollten die Leute zum Beispiel wissen, oder, gleichsam als Höhepunkt: "Wo ist das Bild Mona Lisa von Michelangelo hingekommen? Es hing früher im Kaiser-Wilhelm-Museum." In dieser Mischung aus Aura-Erwartung und Bildungsprätention, aus Disposition aufs Wahrste, Hehrste, Beste hin und Eingeweihttun erkennt man die Betrachterhaltung, wenn es um Kunst geht. Wenn man schon im Museum ist, tut man es nicht unter Mona Lisa und Michelangelo. Und das in Personalunion. An was denkt man nun wenn man ans Kulturelle des Irak denkt? Ans Zweistromland? Genau. An die Wiege der Menschheit? Wunderbar. An die erste Schrift? Exakt. An die frühesten Staatenbildungen? Klasse. Wenn man dies dann alles zusammenfasst, kommt einem die Gesetzesstele des Babylonierkönigs Hammurabi in den Sinn, der Prototyp eines juridischen Kodex, entstanden um 1700 vor Christus. Besonderer, überwältigender geht es nicht. Diese Gesetzesstele, so zieht sich unweigerlich der Schluss und so ist es im Übermaß berichtet worden, ist nun von Plünderern entwendet worden. Zerstört worden. Schlimmer noch: von skrupellosen Händlern hinweggerafft worden, um sie reichen, amerikanischen, am Ende auch noch jüdischen, jedenfalls im Sternbild des Bösen geborenen Sammlern an den Hals zu hängen. Und die Besatzer, finanziert natürlich von ebendiesen Sammlern, sahen zu. Das mit der Besonderheit der Stele wusste man allerdings schon früher, und deswegen ließ man die Preziose bereits vor hundert Jahren mitgehen. Seit 1902 befindet sie sich im Louvre, jenem Weltmuseum, das es in der Tat nicht gäbe, hätte man nicht seit Menschengedenken Beute gemacht. Der Louvre ist die Nachfolgeorganisation des Musee Napoleon, in dem der Kaiser alles vorführte, was er auf seinen Feldzügen nur einstecken konnte. Auch das Kunsthistorische Museum hat ein paar schöne Exponate, die einst in Rom ihren Aufenthaltsort hatten, bevor der Habsburgerkaiser Karl den Sacco di Roma genehmigte, das mehrtägige Gemetzel, bei dem sich seine Soldaten schadlos halten durften für vorangegangene Entbehrungen. Vom Völkerkundemuseum und seiner sogenannten Federkrone Montezumas ganz zu schweigen. Ausstellungshäuser ohne Beutestücke wären Provinzgrößen, Heimatmuseen, Stadtteilattraktionen. Viele Museen sind aber Phänomene von Weltrang. Sie nähren damit gerade jene Betrachterdisposition aufs Großartige und Exorbitante hin, die typisch ist bei der Wahrnehmung von Kunst. Deren Kehrseite ist die Empörung, und sie ist auf diesem Feld ihrerseits sehr umfassend. Die Wertschätzung wie die Entrüstung leben von der zugrundegelegten Bedeutung. Kunst machen hat es womöglich immer gegeben, Beute machen auch. Vielleicht ist daran nichts so Besonderes.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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