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Schmuh, Schmäh, Schmalz

Die Bühne des Song Contest 2015. © ORF Am Samstag ist also Song Contest. In Wien. In der Hauptstadt des Landes, dessen Verhältnisse doch eher auf ein „Sechs Österreicher unter den ersten Fünf“ als auf Aushalten von Toleranz verweisen. Aber das passt auch zur Veranstaltung. Sie ist nach wie vor ein Wettbewerb, steht immer noch unter nationalen Vorzeichen, und man muss seinen Tunnelblick schon deutlich darauf justiert haben, dass das Private das Politische ist, um ihm Signalcharakter fürs Gesellschaftliche zu attestieren. Der Song Contest ist eine Einübung in Schmuh, Schmäh und Schmalz und hat in diesem Charakter als Musikantenstadl für diejenigen, die sich ihren Geschmack relevant reden können, seinen, sagen wir, Charme. In diesem Sinn meine Top Ten an, im Großen und Ganzen, Siegerliedern, aufgelistet chronologisch. Jacqueline Boyer – Tom Pillibi – 1960 Das erste nette Liedchen, nach den zähen Existenzialismen der frühen Gewinner-Beiträge. Europa blickte nach Amerika, fand keinen Rock'n Roll und keine Teenie-Fetzen, aber Hollywood, besser Disney, und das Siegerlied für Frankreich ist eine Art Digest sämtlicher Zeichentrick-Untermalungen der Jahrzehnte davor. Gigliola Cinquetti – Non ho l'età – 1964 Italien hatte mit dem San Remo-Festival so etwas wie das Modell für Europa, und es war dieses Lied, das auf beiden Wettbewerben gewann. Die Sängerin hatte noch nicht das Alter, sie ist im Dezember 1947 geboren und war gerade auf dem Weg „From sixteen to seventeen“, Für den Moment gab es nur „amore romantico“, vulgo Schmachten. France Gall – Poupée de cire, poupée de son – 1965 Die Lieblingssängerin von mir als Sechsjährigem. Auch bei ihr verkörperte der Liedtext perfekt ihren Typ, sie besaß das Wachs-, das Tonpüppchenhafte, auch wenn man das Gefühl hatte, es würde nicht dabei bleiben. Das Lied, für Luxemburg am Start, ist von Serge Gainsbourg. Udo Jürgens – Merci, Cherie – 1966 Der Quotenmann in dieser Liste. Frauen scheinen mit der Camp-Atmosphäre, die Susan Sontag zwei Jahre davor auf den Punkt gebracht hatte, besser zurecht gekommen zu sein, jedenfalls solange nicht die Schwulenkultur sich der Sache annahm. Ein perfektes Liebeslied, dargeboten in jenem Jahr, in dem die Popmusik ohnedies ihren Höhepunkt feierte. Dana – All Kinds of Everything - 1970 Wie im seriösen Pop nun der Backlash, Die Sechziger feierten an ihrem Ende das Back to the Roots, und das Siegerlied des Song Contest griff wieder tief in die Trickkiste Hollywoods. Dana aus Irland sieht aus wie Judy Garland, sitzt da wie Dorothy in „Wizard of Oz“, kann zwar nicht so gut singen, aber ihr Liebreiz ist garantiert von jedem Gedanken an Abtreibung, wie er damals in den Köpfen saß, frei. Abba - Waterloo - 1974 „Erst Abba schafften es dauerhaft, den Null-Sound, eine durch keine Soundzeichen von der konventionellen Musikalität ablenkende Normalität, wieder erfolgreich einzuführen und so den alten Schlager zu rekonstruieren.“ (Diederichsen, Über Pop-Musik) Dana International – Diva – 1998 Dana aus Irland ist international geworden, kam aus Israel und war transsexuell. Was Dana aus Irland unter die Teppiche gekehrt, in den tiefsten Schubläden verstaut und in der Versenkung versteckt hatte, legte sich vor aller Augen- Und siehe, es funktionierte. Es funktioniert seither. Na ch Jahrzehnten der Finsternis hatte der Song Contest sich neu erfunden. Und in Mitteleuropa hält sich fünfzehn Jahre später ein kleines Land mit einem bärtigen Verkleidungskünstler für die Speerspitze der Transgression. Sertab Erener – Everyway That I Can – 2003 Gerade war Shakira aufgekommen, und schon singt die Welt Ethno. Die Sprache ist nur noch englisch, die Melodien machen global auf lokal. Die Ausdifferenzierung in der Entdifferenzierung ist längst die Masche des Song Contest. Marija Serifovic – Molitva - 2007 Kein Trend ohne Widerpruch: „Molitva“ war immer schon und auch ungebrochen durch den Erfolg ein Lied auf serbisch. Kein Trend ohne Bestätigung: Homosexualität war längst spruchreif, doch keine Teilnehmerin trug bis dato ihr Lesbentum so seriös zur Schau (und nicht als kichernde Teenie-Attitüde wie die russischen Küken von t.A.T.u 2003). ByeAlex – Kedvesem – 2013 Der hat nicht gewonnen. Hipstertum auf ungarisch, das kann nicht mehr werden als, immerhin, Platz 10. Mein Lieblingslied.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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