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Eikonomie

Eine Aufforderung zu einer neuen Kunstwissenschaft Bildbetrachtung vollzieht sich nicht ohne Wunsch. Bilder erinnern an Begehrtes, zum Beispiel woanders zu sein, Abenteuer zu erleben, eine Landschaft zu durchwandern, Früchte zu genießen, die See zu befahren oder erotische Erlebnisse zu haben. Das zeigt sich in Ansichtskarten, Werbesujets, im Abendfernsehen und in der Partnerwahl. Bilder schaffen aber nicht nur Begehren. Sie lösen auch Abscheu, Verunsicherung oder Mitleid aus. Sie führen uns Gräuel, Leid, Schmerz, Tod oder unsere Grenzen vor Augen. Diese Bilder sind deshalb nicht weniger eindrucksvoll. Im Gegenteil. Seit der Antike wird mitunter die Aufgabe von Darstellungen darin gesehen, in uns Gefühle hervorzurufen, die uns ratlos, bestürzt, verzweifelt oder traurig machen. Im Kunsterleben können sie befreiend und sogar lustvoll sein. Nun ist schon seit damals interessant zu beobachten, dass in ästhetischen Erlebnissen positive Stimmungen von negativen begleitet werden. Umgekehrt mischen sich negative in positive, doch warum? Die einfachste Erklärung scheint, dass Darstellungen eine widersprüchliche Wunschdynamik in Gang bringen. Sie konfrontieren uns mit einem Erlebnis der Zwiespältigkeit, in der Wunscherfüllung und Enttäuschung ineinander greifen. Beim Anblick eines Bildobjekts – sagen wir ein feuriger Nachthimmel in violetten Wogen, eine liegende Venus, flehende Schiffbrüchige auf einem Floß, ein verwirrendes Linienspiel, selbst ein Ready-made – öffnet sich ein Gefälle zwischen Darstellung und eigener Erfahrung. Wer hinblickt, muss abgleichen. Kann der Nachthimmel violett, pastos und malerisch sein? Ist die Venus mein Typ? Ist das Ready-made ein Spiegel meines Konsumverhaltens? Trifft Géricault den visuellen Nerv der aktuellen Katastrophen, obwohl er vor 200 Jahren lebte? Viele Fragen stellen sich, doch das Grundproblem bleibt das gleiche. Eine Darstellung zeigt kein wirkliches Ding, sondern ein Abbild eines Dings. Sie versetzt uns in eine Situation, in der wir nicht sind. Sie zeigt uns Dinge, die da sind und zugleich fort. Signifikant und Signifikat spießen sich. Die Einbildungskraft schlägt aus, in volatilen Amplituden und wie unter dem Druck einer permanenten Schubumkehr. Schon die Jüngsten haben Freude an fiktionalen Erlebnissen. So sind ein paar Pflaumen in einem Bilderbuch, durch das eine Raupe Löcher gräbt, lustvoll, weil die Raupe dabei immer dicker zu werden scheint. Dass es sich nicht um eine wirkliche Raupe handelt, die eine gemalte Pflaume verzehrt, muss nicht erklärt werden. Im Gegenteil, die Lust besteht offenkundig darin, dass bloß die Raupe zu dieser Unterscheidung nicht fähig ist. Nun lässt sich die Differenz zwischen dem Abgebildeten und dem Abbildenden zeichentheoretisch sehr gut erklären. Semiotiker wie Charles Sanders Peirce oder Roland Barthes haben Versuche unternommen, diese Momente zu analysieren. Darstellung entsteht allgemein durch einen Riss zwischen Bildvehikel und Bildobjekt, zwischen Signifikant und Signifikat. Was uns hier interessiert, ist das Gefälle, die Nichtidentität der beiden. Ein Vorteil der Methode ist, dass sie nicht auf bestimmte Darstellungen festgelegt ist. So lassen sich durch Zeichentheorien nicht nur Bilder, sondern auch Buchstaben, Gerüche, Abendkleider, Feuerzeichen und gestanzte Löcher in Bilderbüchern beschreiben. Die Poststrukturalisten haben diese Versuche erweitert und die Differenz nicht als statisches Gegenüber, sondern als wandlungsfähigen Prozess beschrieben. Zeichen und Bezeichnetes tauschen fortwährend Rollen. Sie entfachen viele Energien, die in sich zum Teil widersprüchlich und unauflösbar sind. Doch obwohl sie in den Geisteswissenschaften und Künsten umfangreich rezipiert wurden, haben sie mittlerweile ihren Einfluss verloren. Der Grund liegt auf der Hand. Sie konnten die politischen Dimensionen nicht fassen und schon gar nicht die globalen und wirtschaftlichen Verzahnungen, die in unsere Leben greifen. Es sind nicht die Zeichen, die uns Probleme bereiten, weil sie sich zerstreuen, sondern die Algorithmen, die unaufhörlich Anreize liefern, noch mehr Nischen für wirtschaftliche Margen zu nutzen. Deshalb ist es an der Zeit, von beiden – der Semiotik und dem Poststrukturalismus – zu lernen, ein Update zu versuchen und zugleich die Immanenz der bisherigen Zeichenlehren zurück zu lassen. Dies betrifft die Kunstgeschichte. Vor einigen Wochen tagte der Deutsche Kunsthistorikertag in Mainz und Orientierungsprobleme waren deutlich zu vernehmen. Nicht inhaltlich, aber methodisch. Das verwundert nicht. Die Kunstgeschichte leidet seit geraumer Zeit unter Symptomen der methodischen Stagnation. Da half auch das eifrige Zitieren von Deleuze und Derrida nichts. Am stärksten waren ihre Reformkräfte nach den 1968, als sozialhistorische Aspekte in die Bildanalyse eingebracht wurden. Porträts, Nachthimmel, Seestücke, Pflaumen, Raupen und Löcher waren demnach soziale Wirklichkeiten. Sie sind Konsumgüter und spiegeln Produktionsverhältnisse. Diese Ansätze sind dennoch mittlerweile zahnlos geworden, weil sie die Kapitalismuskritik einer bildexternen Energie oder Macht zuschreiben. Das Bild ist darin nicht mehr als Symptom. Es lässt sich jedoch argumentieren, dass Bilder nicht nur von wirtschaftlichen Aspekten beherrscht werden, sondern dass sie im Kern selbst wirtschaftlich sind. Und zwar aufgrund ihrer zeichentheoretischen Grundlage. Darstellungen sind Evokationen betriebsreicher Wunschökonomie. Überschuss und Mangel treten im Darstellungserleben nebeneinander auf. Sie sind in der ontologischen Zweipoligkeit von gleichzeitiger An- und Abwesenheit begründet. Deshalb wäre der Kunstgeschichte heute eine neue Teildisziplin anzuempfehlen, die Bilder entsprechend ihren immanenten Wertbezügen zu analysieren. Vorbild dafür wäre das Methodenrepertoire der Ökonomie. Eine solche Kunstgeschichte wäre deshalb keinesfalls die Magd der Wirtschaftswissenschaften, sondern – wie sich bei genauem Blick zeigt – ihre profundeste Kritik. Eine Wissenschaft, die die Darstellungsdifferenz als Wunschgefälle interpretiert, müsste »Eikonomie« heißen. Es ist ein Kunstwort, das das Griechische nicht kennt, und sich dennoch aus ihm herleitet. Es geht um eine Ökonomie des Begehrens, in der sich Überschüsse und Defizite nicht ausschließen. Im Gegenteil, Belastung und Vermehrung, Überschüsse und Mängel treten simultan und im eigenen Erleben auf. Bildbetrachtung ist ein Kapital ohne Besitz, ein Widerspruch in sich, weil Gläubigeranreiz und Schuldeingeständnis, Gewinn und Verlust, Ertrag und Inflation. Falsch verstanden wäre dieser Ansatz, würde man ihn als Auslieferung an die wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen oder gar als Einladung zu deren freiwilliger Vereinnahmung sehen. Es geht vielmehr um den Versuch, die Darstellungsrelationen nicht nur in der Bildwelt, sondern im wirtschaftlichen Denken zu identifizieren. Der Dominanz des Ökonomischen wird mit den eigenen Mitteln begegnet.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Methoden der Kunstgeschichte
Alexandra Pfeffer | 05.05.2015 09:23 | antworten
Vielen Dank für den Artikel. Dieser zeigt nicht nur das „Dilemma“ der Kunstgeschichte auf, in dem sie sich derzeit befindet (Konkurrenz durch Visual Culture Studies, Medienwissenschaften), sondern auch, dass sich die Kunstgeschichte in und durch neue Einflüsse (und Methoden) anpassen und aufnehmen muss. Dies wurde nicht nur durch den Schwerpunkt „Wert der Kunst“ sichtbar, sondern auch durch die Digitale Kunstgeschichte. Die Betrachtung eines Kunstwerkes unter ökonomischen Gesichtspunkten ist nicht uninteressant, spricht man aber mit Kunsthistorikern, so ist die Antwort oft schon bekannt: „Naja, was sagt da schon der Wert über ein Kunstwerk aus ??“. In der Praxis werden die Fragen nach dem Wert beim Ein- oder Verkauf bzw. im Bewertungsfall (Schadenersatz, Versicherung etc) gestellt. Allein das birgt eine Menge an Zündstoff an Fragen. Blättert man durch den online verfügbaren Tagungsband zu „Wert der Kunst“ so fällt einem auf, dass der Wert der Kunst auf viele Arten behandelt und interessante, teilweise unbekannte Aspekte behandelt wurden. Wert von Kunst ist so viel mehr, als die ökonomische Bewertung. In Dvo?ák, Über die dringendsten methodischen Erfordernisse der Erziehung zur Kunstgeschichte, 1914, kann folgender wichtiger, heute immer noch aktueller Satz nachgelesen werden: „Disziplinen oder auch einzelne Naturwissenschaften können der Kunstgeschichte als Hilfswissenschaften wichtige Dienste leisten, wie ja auch umgekehrt die Kunstgeschichte als Hilfsdisziplin nützlich sein kann.“ Alexandra Pfeffer www.in-arcadia-ego.com

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