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Gegenüber

Ich habe, die Leserschaft wird es womöglich bereits bemerkt haben, Kunstgeschichte studiert. Die Fächerwahl war im Jahr 1982, als ich anfing, nicht besonders originell, und so zwängten sich mit mir nicht weniger als 800 Erstsemester in das Münchner Institut, das mit 3.000 Studenten längst keine Nähte mehr hatte, die platzen konnten. Die Einschreibungen in die Seminare waren legendär, und der Boulevard schickte Fotografen, die um fünf Uhr morgens die Kommilitonen ablichteten, wie sie sich in die Schlange reihten, als gäbe es im Ostblock Bananen. Vielen von uns hatte die siebte documenta der vagen Idee, ausgerechnet in der Philologie der Bilder eine Perspektive zu finden, den finalen Schub verliehen. Die hundert Tage hatten vorgeführt, wie das Prinzip Museum und das Phänomen Gegenwart zusammenpassten, und noch heute gilt die 82er documenta als eines der guten Beispiele für die Möglichkeiten der Kasseler Weltausstellung. Rudi Fuchs hatte sie verantwortet und die orthodoxe Postmoderne mit ihrem Faible fürs Zitieren und ihrem Bewußtsein fürs Renommieren ihren großen Auftritt. Die Wirklichkeit blieb draußen, dafür bauten die Arbeiten an der kleinen Welt ästhetischer Korrespondenzen. Fuchs' Paradeformel für die idyllische Anti-Realität hieß Gegenüberstellung. Richard Long zog seine Kreise vor Anselm Kiefers Germanentum, Georg Baselitz präsentierte sich kopfüber und vis-à-vis der Sogwirkung, die Jan Dibbets' Tondi entfalteten, und Emilio Vedova fand sich in der Nachbarschaft von Richard Paul Lohse wieder. Rudi Fuchs hat natürlich auch Kunstgeschichte studiert, und er war sogar, bevor er 1975 das Eindhovener Van Abbe-Museum übernahm, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunstgeschichte-Institut der Universität Leiden. Diese Karriere sah man seiner documenta an. In der Weißen Zelle des Fridericianums machte sich die dunkle Kammer des Seminarraums breit, jener abgeschottete Raum des idealiter Diskursiven, in dem der Geschichte der Bilder eine argumentative Gegenwart gegeben wird. Im Allgemeinen waren, bevor Power Point die Dinge singularisierte, zwei Projektoren aufgebaut, und was sie an die Wand werfen, hatte die hieratische Präsenz einer Erscheinung. Entsprechend den Diapositiven waren auch die Referate aufgebaut: Sie kreisten um jene Antithetik, die sich aus dem Nebeneinander der menetekelhaften Leuchtspuren sowieso ergab. Zwischen den beiden Polen von Abbildung rechts und Abbildung links entfaltete sich der hermeneutische Zirkel der Kunst. Artists and Poets, Ausstellungsansicht mit Arbeiten von Heimo Zobernig und Donald Evans, Secession 2015, Foto: Jorit Aust, © Bildrecht, Wien 2015 Wie es aussieht, funktioniert das Prinzip heute, da es diese Art von Projektion nicht mehr gibt, besser denn je. Gerade hat Udo Rondinone für die Wiener Secession eine Ausstellung vom Kopf auf die Füße gestellt, die die Angelegenheiten der Kunst in alter Polarität betrachtet. Jeweils zwei Positionen treffen sich in einem der insgesamt sieben (wenn man die Kammer mit dem Beethoven-Fries hinzuzählt) Kabinette, jeweils einmal geht es minimalistisch-puristisch-konzentriert zu Werke, das andere Mal üppig-überbordend-transgressiv. Eigentlich sollte es ein Thema geben, “Artists and Poets” ist der Titel der Schau, doch weniger das Vis-à-vis von Bild und Text steht im Raum als die Konfrontation von, man könnte sagen, Morphologien. Weniger das literarische Motiv wird inszeniert als die inszenatorische Methode. Ein paar Trouvaillen gibt es auch. So findet sich, in der vielleicht schönsten Gegenüberstellung, Heimo Zobernig einem gewissen Donald Evans benachbart, der eigentlich aus der Architektur kommt und als Erfinder skurriler Briefmarken-Editionen seinen Rang in der Kunstgeschichte sucht. In und mit eben dieser Kunstgeschichte treffen wir uns wieder. www.secession.at
Mehr Texte von Rainer Metzger

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