Eventtipp,
Patrick Lichty - Artifacts: Die porösen Grenzen der Wirklichkeit
Unbeeindruckt bleibt Man Michinaga mit seiner blau-schwarzen Stachelfrisur am Flügel sitzen, während rund um ihn unzählige Klaviere durch den Raum tosen und dabei einen kakophonen Soundtrack erzeugen. Er weiß eben, dass ihm nichts passieren kann: Man Michinaga ist der Avatar von Patrick Lichty, der statt am Klavier vor seinem Computermonitor sitzt und mittels seiner Tastatur eine Performance in der virtuellen Parallelwelt Second Life gibt.
Der US-amerikanische Künstler, Kurator und Theoretiker, der (unter anderem) bei der Netzkunst- und Aktivistengruppe The Yes Men für die Animationen zuständig ist, beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit digitalen Technologien und deren Einfluss auf die menschliche Wahrnehmung. „Artifacts“ in der Berliner DAM Gallery ist seine erste Einzelausstellung in Europa.
Einen Teil seines (beträchtlichen) Gesamtwerks bilden die Performances, die Patrick Lichty mit der Künstlergruppe Second Front entwickelt und die, quasi als virtuelle Variante des Fluxus, stets in der Online-Infrastruktur Second Life stattfinden. Zwei davon sind via Videodokumentation in der DAM Gallery zu sehen.
„The Hansen-Ono Piano Method“ (2007) mit Protagonist Man Michinaga bezieht sich auf eine Performance des Fluxus-Künstlers Al Hansen in Köln 1983, in der dieser mit Widmung an Yoko Ono mehrere Klaviere aus einem Fenster der ehemaligen Stollwerck-Fabrik warf.
In „Al Hansen’s Car Bibbe II“ (2009) inszenierte Patrick Lichty gemeinsam mit Al Hansens Tochter Bibbe Hanson das Konzept eines bis dato unrealisiert gebliebenen Happenings des Fluxus-Künstlers aus dem Jahr 1958. In einer anarchisch anmutenden, flach-dimensionalen Bildschirmwelt werden drei Zyklen performt: ein Cadillac Fleetwood explodiert, Reifen brennen, Ballerinas verschiedenster Formen schweben durch die virtuelle Luft und minimalistische Handwerker-Männchen stochern mit Rechen in Grashügeln. Dazwischen lungern Figuren, von denen man nicht weiß, ob es die Teilnehmenden oder doch die ZuschauerInnen-Avatare realer ComputerbenutzerInnen sind. Und obwohl auch die Live-Wahrnehmung der Aktionen von Second Front abseits des Galerieraumes auf einem Bildschirm vonstattengeht, erscheint die Vorstellung, als Second Life-Insider systemimmanent daran teilzunehmen, durchaus reizvoll.
Der andere Teil der Ausstellung in der DAM Gallery ist den materiellen Manifestationen in Patrick Lichtys künstlerischem Schaffen gewidmet – auch diese bleiben stets der Technologie verhaftet, wenngleich eher im Sinne einer Post-Internet-Art.
Da gibt es etwa die Werkserie „Nudes“ (1997 – 2005): Auf Birkenbrettern wurden durch Verbrennung mit einem computergesteuerten Laser abstrakte Figuren und Muster erzeugt. Ob sie als Metapher für den Ersatz der Realität durch unsere Aufzeichnungen interessanter werden, wie der Ausstellungstext etwas banal verkündet, sei dahingestellt.
Um die Herstellung von dinghaften Artefakten mittels digitaler Codes geht es auch in den industriell gefertigten Jacquard Tapisserien, die vertraute Versatzstücke aus Internet und Popkultur inkorporieren. „404 File Not Found“ (2013) zitiert mit dem gewebten Bild eines QR-Codes die toten Links im World Wide Web. Wie sehr die Sprache mittlerweile dem Internet verhaftet sein kann, beweist eine andere Tapisserie auf anachronistische Weise. In einem ikonischen Standbild aus dem Film „Dont look back“ (1967) hält Bob Dylan ein Papierschild in der Hand: FAIL steht darauf.
Stets stehen hier auf ironische Weise Aspekte des Scheiterns im Mittelpunkt – lesbar etwa als Andeutung auf die ureigene Angst der Digital Natives (oder des Künstlers selbst) vor einem Ausschluss aus den (fast) immer erreichbaren Weiten der digitalen Welt. Oder aber als Wunsch nach einer Befreiung davon, weil es sonst irgendwann womöglich schlecht ausgehen könnte – wie auf dem Wandteppich „Orange Alert“ (2003 – 2014), auf dem grobpixelige Space Invaders über das Weiße Haus herfallen. Allemal sehenswert!
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Patrick Lichty - Artifacts
30.01 - 21.03.2015
DAM Projects
14059 Berlin, Horstweg 35
Tel: +49 30 76802417
Email: office@dam.org
https://damprojects.org/
Öffnungszeiten: Mittwoch - Freitag 13 - 18 Uhr
Samstag 12 - 16 Uhr
Und nach Vereinbarung
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