Rainer Metzger,
Aneignung
Luc Tuymans, so lese ich in den „Kunstnews“,
ist in einen Urheberrechtsstreit verwickelt. Er hat sich einmal mehr für eines seiner Gemälde einer Vorlage bedient, es ist die Fotografie eines belgischen Politikers, das hat er abgemalt, und schon ist „A Belgian Politician“ fertig. Tuymans schafft es immer wieder, eines der angestammten Privilegien von Kunst, es politisch zu meinen, mit seiner Taktik der Unschärfe kurzzuschließen und damit Welterfolge zu erzielen. Entsprechend ansehnlich sind die 500.000 Euro, die auf dem Spiel stehen, sollte er sein nun wirklich altgedientes Verfahren an diesem Sujet wiederholen.
Oben: Foto von Katrijn Van Giel. Unten: Gemälde von Luc Tuymans
Wiederholen. Nelson Goodman hat in seinem Klassiker über die „Sprachen der Kunst“ eben damit ein zentrales Kriterium skizziert, das die Gattungen voneinander unterscheidet. Es gibt die „autografischen“ Künste, wie Goodman es nennt, und es gibt die „allografischen“. Diese bedienen sich, um zur Kenntlichkeit zu kommen, eines anderen Materials, während jene das selbst sind, was sie meinen. Allografisch, anders aufgeschrieben, ist zum Beispiel die Musik, autografisch, sich selbst schreibend, zum Beispiel die Malerei. Entsprechend gibt es hier ein Original, während dort die Notation regiert. Und entsprechend geht es in der Malerei singulär zu, während die Musik von der Wiederholung, der Wiederholbarkeit lebt, von der Verschiedenheit der Aufführungen, die zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten inszenierbar sind, ohne dass das Stück darunter litte.
Goodman setzt auf eine Prinzipienreiterei, die in jenem Jahr 1968, als sein Buch erschien, schon ein wenig obsolet geworden war. Seit Fluxus war es in der Musik gute Praxis, Einmaligkeit zu fordern, und speziell die Conceptual Art probierte im Gegenzug alle möglichen Verfahren durch, statt Bildern Notationen zu produzieren: Ein Titel wie Sol LeWitts „All single, double, triple, quadruple combinations of lines in four directions in one-, two-, three- and four-part combinations” versucht in aller Überspanntheit Aufführungsmöglichkeiten zu kodifizieren. Natürlich war damit kein Ende gefunden. Die Appropriation Art eineinhalb Jahrzehnte später machte die Wiederholung zum Werkvertrag. Mike Bidlos „Studio“ war die Versammlung von Klassikern der Moderne im Atelier des Künstlers, Fake für Fake aufgereiht als Enzyklopädie des Prinzip Aneignung.
Doch womöglich ist das nicht die ganze Wahrheit. Goodmans „Sprachen“-Buch war obsolet auch im Blick auf eine Kunst, die ihm in seinem Bestreben, den Kanon zu untersuchen, nicht recht untergekommen war. Die Pop-Musik, Diedrich Diederichsen hat das jetzt wieder betont, hat ihre eigene Vermischung von Allo- und Autografie, und sie besteht im Originalmoment der Aufnahme. Es macht den Unterschied ums Ganze, ob ich „Mister Tambourine Man“ von Dylan oder von den Byrds höre oder „Yesterday“ in einer Version der Beatles oder des damals aktuellen TV-Stehgeigers Helmut Zacharias. Die Aufführung ist das Original, doch sie ist wiederholbar mittels Medialität, dank Platte, Film und allem, was sich ergeben hat in der Zwischenzeit.
Appropriation Art liefert also nicht das Modell, auf das Tuymans sich berufen kann (und Jeff Koons, dem kürzlich das Gleiche widerfahren ist, auch nicht). Nicht nur, dass es eine neue Sensibilität für die Verfahren von Copy and Paste gibt. Insgesamt existiert eine Kultur des Hybriden, der Vermischung und Vermengung, unter deren Ägide es genau hinzusehen gilt. Wie die Byrds schlechterdings Dylan nennen, wenn sie mit ihrem Tambourinschläger etwas ganz Neues und Eigenes zelebrieren, stünde es auch bei Tuymans an, dass auf einen Ausgangspunkt und dessen Urheber verwiesen wird. Und zwar, wie in der Musik, mittels der Credits.
Elaine Sturtevant, so ist in dem Bericht auf artmagazine zu lesen, wäre heutzutage öfter vor Gericht als im Atelier, würde man die Causa Tuymans generalisieren. Da fällt mir die folgende Geschichte ein: Andy Warhol war bekanntermaßen begeistert von den Aneignungen, die ihm Sturtevant angedeihen ließ, und immer wieder kam er vorbei bei ihr, um zu verfolgen, was da an Oeuvre entstünde; währenddessen hantierten sie in seiner Factory an Leinwänden, auf denen dann das Etikett „Warhol“ klebte. Wenn persönliche Anwesenheit Kriterium eines Originals ist, dann sind jedenfalls die Appropriationen Sturtevants deutlich mehr das Werk von Warhol als die Factory-Produktionen.
Längst ist Bildproduktion eine hybride Angelegenheit. All die Namen der für diese Vermengung Verantwortlichen zu nennen: Diese Mühe wird man sich machen müssen. Auch ein Weltmeister wie Tuymans.
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