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Trauer: Klinisch tot

Ist trauern out? Eine Ausstellung im Wiener Atelier im Augarten basiert auf dieser These. Trauer sei der gesellschaftlichen Missbillligung zum Opfer gefallen und durch die Volkskrankheit Depression ersetzt. Wohl in vorauseilendem Gehorsam sollen die gezeigten Arbeiten die Frage nach einer "taktvollen" Vermittlung der Trauer in der zeitgenössischen bildenden Kunst beantworten. Das Thema selbst wird von verschiedensten Seiten beleuchtet. Da gibt es Arbeiten, deren Inhalt die Trauer eines Einzelnen ist, wie die Installation von Felix Gonzalez-Torres: 42 Glühbirnen an einem langen Kabel erinnern auf sehr verhaltene Art an seinen an Aids verstorbenen Partner. In der DVD-Installation "Death in Dallas" von Zoran Naskovski mit einer Collage aus Fernsehbildern über den Tod des US-Präsidenten John F. Kennedy dagegen geht es um die Trauer einer ganzen Nation. Schließlich gibt es Arbeiten, die der Trauer an sich gewidmet sind, wie Jan Bas Aders expressiver Film "I?m too sad to tell you", der den Künstler ohne jede Erklärung weinen und schluchzen zeigt, oder Nicole Six & Paul Petritschs kühles Video "Räumliche Maßnahme", in dem das beinahe eine halbe Stunde lang gezeigte Schlagen eines Loches in eine glatte, leere Eisfläche zum Equivalent der Trauerarbeit wird. Was die ausgestellten Arbeiten verbindet, ist Poesie und Verhaltenheit. Was sie sämtlich nicht auslösen, ist irgendeine Art von Emotion. Explizit seien Arbeiten ausgewählt worden, in denen die Frage nach der Darstellbarkeit von Trauer mitreflektiert wird, heißt es im Katalog. Eine schöne Idee. Doch ist damit nicht erklärt, warum nicht außerdem Emotion vermittelt und womöglich sogar an aktuelle Anlässe angeknüpft werden darf. Anstelle Gonzalez-Torres? Foto von Blumen auf dem Grab von Gertrude Stein und Alice B. Toklas, das einen "verjährten" Trauerfall aufrollt, hätte man zum Beispiel das Foto "Mourning II" mit der Abbildung der vielen Blumen, die zum Gedenken der Terroropfer beim zerstörten WTC niedergelegt wurden, von Sabine Jelinek zeigen können. Alle drei Forderungen wären zugleich erfüllt gewesen. Die Berührungsängste mit emotionaler Lebendigkeit und politischer Aktualität aber führen die Austellung am Thema vorbei: Wer das Leben nicht spürt, kennt auch die Trauer nicht.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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Trauer
16.04 - 27.07.2003

Augarten Contemporary
1020 Wien, Scherzergasse 1a
https://www.erstestiftung.org/de/events/kyjiw-bienniale-2023/
Öffnungszeiten: Mi - So 12-18 h


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