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Baselitz

Oftmals kommen die seltsamsten Dinge heraus, wenn man das Naheliegendste tut. Zum Beispiel kann man die Welt einfach wörtlich nehmen. Ahnherr des Ganzen ist Diogenes, der von Alexander dem Großen vorgeworfen bekam, er würde sich wie ein Hund benehmen, und der dem Eroberer dann ans Bein pinkelte. Bei Woody Allen gibt es eine Szene, die vom „Stück Land“ des Großvaters erzählt und den ehrwürdigen Alten zeigt, wie er einen Packen Humus in der Hand hält. In diesem Sinn kann man auch etwas auf den Kopf stellen, Bilder etwa, und genau dies war 40 Jahre lang das Markenzeichen von Georg Baselitz. Mit der einen, entscheidenden Geste ist Baselitz’ Identität eingegrenzt, und was alles an Binnenklima im Treibhaus dieser großen Inversion herrscht, erscheint dann sekundär. Mancherlei Strukturwandel hat stattgefunden auf den Oberflächen von Baselitz’ Malerei, vom Schrundigen zum Ziselierten, von lauter Buntheit zu delikater Tonigkeit und wieder zurück. Die Entscheidung von 1969 indes, sie steht synonym für seine Kunst selber. Das Programm dazu ist zudem noch einiges älter. „Jetziger Zustand der Kunst“, so diktierte im Jahr 1815 Goethe dem Kölner Romantiker Sulpiz Boisserée in dessen Tagebuch, „bey vielem Verdienst und Vorzug große Verkehrtheit. Maler Friedrich seine Bilder können ebenso gut auf dem Kopf gesehen werden“ Der Weg dorthin war mühsam genug. Baselitz wollte weg von der Monumentalität des Motivs, doch die Strategie der Nachkriegszeit, die Abstraktion, war längst schal geworden. So blieb er bei der Figur. Um 1965 schuf er die „Heldenbilder“, die das Gezeigte reduzieren auf die eine, einsame, blockhafte Gestalt. Um 1967 probierte er es mit den „Frakturbildern“, bei denen scheinbar willkürlich gezogene, sich über das Karree der Leinwand schlängelnde Linien die Kontinuität des Gezeigten brüsk unterbrechen. Das nächste Experiment war dann das definitive: Seither ist Baselitz der mit dem Kopfüber. Georg Baselitz, Bei Willem, 2009, Öl auf Leinwand, Sammlung Goetz München, © Georg Baselitz, 2014, Foto: Jochen Littkemann Wie viele Künstler arbeitet Baselitz aus der Erfahrung des Scheiterns heraus. Misslingen und Verfehlen begleiten sein Schaffen: der Eigensinn von Material und Medium, die sich dem Willen nicht beugen, und die Kapriolen eines Gefühls für Qualität, das woanders hin tendiert als zum soeben im Gemälde Gewahrten. Auch deshalb geht Baselitz so vielfältig zu Werke: Es ist darum zu tun, dem Verdacht des Fehlschlags auszuweichen, mit Anklängen an den Primitivismus oder genauso mit einem exquisiten Faible fürs Lineare. In letzter Zeit hatte Baselitz seine Bilder abermals gedreht. Die nunmehr wieder geläufige Orientierung erklärt sich aus der Überlegung, einen „Remix“ zu erstellen. Hier nimmt er sich seine eigenen Werke vor, lässt Revue passieren, was ein halbes Jahrhundert markiert. Im Münchner Haus der Kunst machen sie nun aus dem Re-Enactment des Vorherigen eine Retrospektive. „Damals, dazwischen und heute“ ist der passende Titel, gezeigt wird der Remix und alles, was ihm voranging. Mit seiner seltsam formalistischen Demonstration eines Anything Goes, mit der eingebauten Möglichkeit des Missmuts und dem unausweichlichen Mechanismus eines Bad Painting ist Baselitz einer der einflussreichsten Künstler der Gegenwart geworden. So malen wie Baselitz können viele. So bedeutend werden wie er können eher wenige. -- Georg Baselitz - Damals, dazwischen und heute 19.09.2014 - 01.02.2015 www.hausderkunst.de
Mehr Texte von Rainer Metzger

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