Martin Fritz,
Do it yourself! Gefahr oder Chance für die Kunst?
»Do it yourself« (DIY) ist bereits seit längerem wieder im Kommen. Genau genommen ist das Selbermachen nie verschwunden. Schon gar nicht bei jenen, die keine andere Wahl haben. Neu ist jedoch der Coolnessfaktor, der dem eigenhändigen Werken plötzlich wieder zukommt. Was in der Küche begann, griff über den Umweg von Design und Aktivismus auf den öffentlichen Raum über: Da wird nicht nur zu Hause Marmelade verkocht, sondern auch für das Recht gekämpft, den dafür notwendigen Obstbaum im städtischen Freiraum zu pflanzen. Reparaturcafés werden gegründet und Anleitungsvideos boomen im Web. Die Prekarisierung des Alltags stärkte das Bewusstsein für den Wert von Selbstversorgung, Eigenbau, Recycling, Upcycling, Tauschkreisen und Alternativökonomien. Urbanen Kreativszenen gelang es dabei, die eigene ökonomische Fragilität zu ästhetisieren: Die Rad fahrenden, Vintagekleidung tragenden und Möbel renovierenden StadtbewohnerInnen sind oft auch jene, denen die Mittel für ein Auto, saisonale Kleidung und Tischlerarbeit fehlen.
Zugleich boomt jede Form selbst gemachten Persönlichkeitsausdrucks: Fotografische Selbst- und Gruppenportraits, Photoshoparbeiten, Alltagsvideos, Let´s Play-Inszenierungen und andere Playbackspielereien gehören zum digitalen Alltag. Mit einer Unzahl sportlich-tänzerisch-performativer Selbstversuche erproben sich Teenager in Parkour, Hip-Hop und Akrobatik und betonieren ihre Skaterrampen gleich eigenhändig in die Stadt. (1) Besonders beliebt sind alle Formate, in denen sich die Möglichkeit zur eigenen Aktivität mit der Chance zum Austausch in der Gruppe verbindet, womit z.B. die Renaissance von Chorgesang erklärbar wäre, die auch im Kunstbereich – etwa mit dem Franchiseprojekt »Beschwerdechor« – ihre Spuren hinterlassen hat. Nicht nur in der Praxis der Chöre verbindet sich der Trend zum Selbstgemachten mit der zunehmenden Kollektivierung kreativer Produktion: Zusammenschlüsse, Paare, Gruppen und anlassbezogene Produktionsgemeinschaften prägen das Bild. Nicht zuletzt liefert die neu entdeckte Schwarmintelligenz die Vorlage für ein neues Leitbild innovativen Handelns jenseits egomanischer Virtuosität.
Was bedeuten diese Entwicklungen für ein Kunstsystem, wie wir es kennen? Die gute Nachricht könnte lauten, dass Kunst nahezu definitionsgemäß »Do it yourself« ist. Es ist fast allen KünstlerInnen gemeinsam, dass vor der Selbstprofessionalisierung eine »laienhafte« Phase steht, in der überhaupt erst die Möglichkeit zum gestalteten Ausdruck entdeckt werden muss, bevor in weiterer Folge durch Ausbildung und Erfahrung die Wandlung zur Arbeit erfolgt. Zugleich nutzt künstlerische Arbeit mehr denn je Techniken und Apparate, die allfälligen NachahmerInnen leicht zur Verfügung stehen. Es kann geradezu als Merkmal zeitgenössischer Kunst gelten, dass sie sich alltäglicher Materialien und Techniken bedient. Doch gerade aus der scheinbaren Alltäglichkeit künstlerischer Verfahrensweisen erwuchs ein Kunstvermittlungsdilemma, das nun gerade in jenem Moment spürbar wird, in dem das Selbermachen in vielen Gesellschaftsbereichen wieder zur attraktiven Option wird: Um die Kunst gegen den sprichwörtlichen Vorwurf »Das kann ich ja selber« zu schützen und um das Publikum für die Qualitäten professioneller Kunst zu sensibilisieren, kam das Selbermachen – außer bei Kindern – etwas in Verruf. Damit geriet etwas in Vergessenheit, dass der Erkenntnis »Das könnte ich ja selber« auch etwas Aktivierendes innewohnt.
So sehr sich auch das Kunstvermittlungsrepertoire erweiterte: In den seltensten Fällen drückt jemand den erwachsenen BesucherInnen einen Bleistift, eine Kamera oder eine Säge in die Hand. Das gemeinsame Reflektieren, Besprechen und Betrachten steht im Vordergrund. In Verbindung mit den Sicherheitsvorkehrungen im Ausstellungsraum und den rechtlichen Schranken, die Fotografieren, Kopieren und Bearbeiten erschweren, bleibt – trotz der Zugänglichkeit der Techniken – ein spürbarer Abstand gegenüber dem Objekt und eine reservierte Erfahrung, der bald etwas Anachronistisches anhaften wird, wenn keine Möglichkeiten zur direkten Aneignung, zum informellen Austausch oder zum gemeinsamen Handeln entwickelt werden. Ein Advocatus Diaboli könnte jedoch behaupten, dass der Wert von Kunsterfahrung gerade darin liegt, distanzierte Reflexion, individuelle Herangehensweisen und einen Rest auratischen Respekts gerade dann zu bewahren, wenn das »Take Away«, das »Sharing« und das »DIY« zur warenförmigen Norm geworden sind.
Gewiss: Die Gegenbeispiele sind leicht zu finden und gerade in der Kunst sucht man an vielen Orten nach Partizipation und Teilhabe. Auch die Kunst der Amateure (etwas verpönt, wo sie nicht zur Art-Brut geadelt wurde) wird im Zuge dieser Entwicklung einer Neubewertung unterzogen: Die Salzburger Sommerakademie verschränkt ihre traditionelle Offenheit den Laien gegenüber mit aktuellen Bildungsdiskursen, das Weltmodell eines Autodidakten wird zum Leitmotiv der letzten Biennale in Venedig und die Vermittlung der Kunsthalle Wien rief im Frühjahr mit Erfolg zum »Zeichenworkshop für Erwachsene«. Mehr davon wird wohl notwendig sein, wenn man anerkennt, dass es für rein autoritative Kunstinstitutionen zur Gefahr werden kann, wenn Selbstausdruck und Eigenproduktion im Alltag für das Publikum attraktiver werden, als passive Kennerschaft professioneller Kunst.
Jetzt werden einige rufen, dass mit der Harmlosigkeit des Selbermachens, brisantere Konzepte der politischen Aktivierung und der emanzipativen Selbstermächtigung unterlaufen würden. In dieser Kritik schließt sich der Kreis zu den eingangs erwähnten Beobachtungen in Alltagskultur, Design und Urbanismus, denen auch entgegengehalten wird, über dem eigenen Garten die Welt zu vergessen. Im Trend zur »eigenen Axt« steckt wohl immer beides: Eskapismus und Alternative, Defensive ebenso wie kollektiver Fortschritt: DIY ist Biedermeier und Vormärz.
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(1) Diese Information entnehme ich einer Reportage von Matthias Winterer in der Wiener Zeitung vom 24.8.2015
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