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Der Kragenbär

Das Cover der schönen Anthologie mit Zeichnungen und Bildgedichten Robert Gernhardts, die 1997 im Haffmanns Verlag herausgekommen ist, ziert eine prominente Gestalt. Sie ist nicht näher gekennzeichnet, „Vom Guten, Schönen, Baren“ steht zwar dabei, doch das bezieht sich auf den Buchtitel. Die meisten allerdings, denen irgendwann der Dichterfürst der Neuen Frankfurter Schule begegnet ist, es wird mehr oder weniger die Gesamteinwohnerzahl der alten Bundesrepublik gewesen sein, waren in der Lage hinzu zu memorieren, was es mit der Gestalt auf sich hat: „Der Kragenbär, der holt sich munter einen nach dem andern runter“. Tatsächlich scheint sich der korpulente Kerl ertappt zu fühlen, der Vorhang geht gerade auf, man sieht in Höhe jener Stelle, wo der Bauch in den Oberschenkel übergeht, einige jener Comic-typischen wiederholten Linien, die Bewegung andeuten, und der Bär blickt über die Schulter, mit dem unschuldigsten Grinsegesicht.. Ein paar Wölkchen umschmeicheln die Szenerie, Luft ist lau, der Himmel blau, und so tut man eben, was man nicht lassen kann. © Robert Gernhardt Gernhardt und sein Verlag haben sich ganz kalkuliert dem Wiedererkennungseffekt des Kragenbärs anvertraut und ihn in den Close-Up gestellt, denn im Inneren des Buches gibt es die ganze Geschichte, in sechs Bildern, unterlegt mit dem einschlägigen Paarreim. Da sieht man im Verlauf des Vorgangs die bärige Figur in Schwarzweiß, und ein wenig Tusche reicht, um das Köpfchen auf das Liebenwerteste mit Schamhaftigkeit auszustatten. Wie stets bei Gernhardt ist brachiale Eindeutigkeit erreicht, wird ganz traditionell auf Vers und Reim und Text-Bild-Kombination gesetzt und insgesamt jede Betrachtererwartung erfüllt. Und doch hat Gernhardt es vermocht, mit seinem Werk so etwas wie einen Erinnerungsort zu schaffen: mit Beharrlichkeit und ein wenig postmoderner Ästhetik der Vermischung von High und Low und natürlich auch mit herrlichen Einfällen, unter denen die Baudelaire-Schüttelei „Die Blusen des Böhmen“ schlichtweg genial ist. Nun hat Gernhardt sich wieder in Erinnerung gerufen. Göttingen, die Stadt, in der er zur Schule ging, möchte ihn mit einem Denkmal ehren. Die Initiatoren sehen nun als Symbol- und Sympathieträger ausgerechnet den Kragenbären vor. So kommt jetzt ein Streit zustande. Knapp 20 Zentimeter hoch war das Modell, das probehalber letzte Woche auf seinem Sockel saß, in Bronze, den obligatorischen Blick teddy-haft über die Schulter geworfen, mit der Pfote an der zur Betätigung vorgesehenen Stelle. Alles ins Werk gesetzt von dem Kasseler Künstler Siegfried Böttcher. Die einen finden das jetzt nicht jugendfrei, die anderen harmlos, und angeblich, berichtet die SZ, verläuft der „Bären-Graben“ entlang der Linie der Geschlechtertrennung: Männer dafür, Frauen dagegen. Wir von der Kunstgeschichte sehen darin ein Paradebeispiel für jenes Prinzip Rivalität, das man in der Frühen Neuzeit Paragone nannte. Kaum ein Gemälde des 16. bis 18. Jahrhunderts, das nicht, facettiert in verschiedenen Figuren, eine Gestalt in diversen Perspektiven vorführte, ein Schnippchen gegen die Skulptur, die die Vielansichtigkeit immer schon beherrschte. Und kaum eine Plastik, die nicht mit Oberflächenreizen prunkte, dass sie so lebendig sei wie das durch Inkarnat und Weißhöhungen vitalisierte Motiv der Malerei. Die Sache mit dem Kragenbär wird genau aus diesem Grund, wenn man es denn so verstehen will, obszön. Gernhardts Original hat nicht gezeigt, sondern nur benannt, was der Kerl treibt. Mit dem Denkmal und seiner Dreidimensionalität wird die Aktion nun schlechterdings dargestellt, ohne Andeutung, in aller Deutlichkeit. Man tut Gernhardt jedenfalls künstlerisch keinen Gefallen, auch wenn ihn die Debatte sicher gefreut hätte. Und natürlich hatte er, gleichsam vorab, eine kleine Geschichte dazu in petto: „Viele viele kleine Bilder zeigen immer nur dasselbe. Doch wenn man das gleiche groß sieht, ist es auch nicht ganz das Gelbe.“ © Siegfried Böttcher
Mehr Texte von Rainer Metzger

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