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Vermeer?

Rembrandt ging 1656 in Konkurs. Womöglich konnte er in seiner genialischen Weltentrücktheit nicht wirtschaften, doch hatte seine Pleite auch handfest konjunkturelle Gründe. Mit seinem Helldunkel, seiner Pastosität und seinem Beharren auf die persönliche Handschrift hatte er sich einem Geschmackswandel verweigert, der auch, oder besser: gerade im bürgerlichen Holland, das mit dem Westfälischen Frieden souverän geworden war, aufs Aristokratische erpicht war. Das Frankreich von Ludwig XIV., das im 30jährigen Krieg auch noch Verbündeter war, setzte jetzt die Maßstäbe, ästhetisch ging es nun glatt, klassizistisch und katholisch zu, denn immer schon hatte die Bourgeoisie versucht, den Adel nachzuahmen. Solllte die Lesart des unten links angebrachten Schriftzugs „Meer 1655“ richtig sein, dann wäre Jan Vermeer von Delft mit seinem Close Up auf eine Heilige Praxedis ein Kronzeuge dieses Geschmackswandels. Gezeigt wird Santa Prassede, die römische Regionalheilige, wie sie einen blutigen Schwamm über einer Vase in deutlich barocker Ausfertigung auswringt und dabei auch noch ein Kruzifix balanciert, um nur ja zu bezeugen, wo der wahre Glaube sitzt. Vermeer, neben Frans Hals und eben Rembrandt der dritte in der Dreifatigkeit des Goldenen Zeitalters, ist kurz vor seiner Heirat 1653 zum Katholizismus übergetreten, und Konvertiten meinen es gern einmal besonders orthodox. Es gibt ein Vorbild für das Gemälde, es stammt von dem Italiener Felice Ficherelli. Die seltsame Idee mit dem Gekreuzigten, der auch noch in der Hand gehalten werden muss, wenn Märtyrerblut ins Gefäß tropft, hat sich dieses Ausgangswerk allerdings erspart. Ausgerechnet im protestantischen Holland mit seiner vagen Praxis religiöser Toleranz, ausgerechnet von Vermeer im Jahr 1655, musste das aufdringliche Accessoire hinzugefügt werden. Johannes Vermeer, Santa Prassede, 101,6 x 82 cm Wenn diese Heilige Praxedis denn tatsächlich von Vermeer stammt. Als nur eines von zwei Werken des Meisters, die bis dato in privater Hand waren, gelangt die gut 100 auf 80 Zentimeter messende Leinwand an diesem Dienstag in die Abendauktion von Christie`s in London. Im Jahr 1969 war das Bild erstmals gezeigt worden, im Metropolitan Museum, als Zweitversion von Ficherelli. 1986 fand, auf der Basis des oben erwähnten Schriftzugs und von gewissen Details des Malmaterials untermauert, eine Zuschreibung an Vermeer statt. Arthur Wheelock, Konservator an der National Gallery in Washington, ist der prominenteste Verfechter dieser Zuschreibung, auf seine Veranlassung hin wurde das gute Stück als Katalognummer Eins in die große Retrospektive 1996 im Mauritshuis Den Haag und in Washington aufgenommen. Die letztjährige Präsentation des Meisters in Rom hat die Zuschreibung bestätigt. Seit 1990 war das Werk Bestandteil der Sammlung von Barbara Piasecka Johnson. Durch deren Tod 2013 gelangt es jetzt in den Handel, und die Zweifel an der Authentizität sind nicht geringer geworden. Christie's scheint selbst nicht recht zu wissen, wie damit zu verfahren ist. Schätzpreis sind sechs bis acht Million Pfund, ein Schnäppchen für einen echten Vermeer, ein Wucher für alles andere. Wie immer, wenn es um Kunstmarktfragen geht, enthalte ich mich eines Votums. Der Kontext allerdings, siehe oben, spricht durchaus für Vermeers Verantwortung. -- Mit einem Ergebnis von 6.242,500 Pfund blieb der Markt dann auch skeptisch gegenüber der Zuschreibung (Anm. d. Red.)
Mehr Texte von Rainer Metzger

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