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Schwindel der Wirklichkeit: Die Fransen der Realität

Nachdem die Eröffnung der Ausstellung als Auftaktveranstaltung zur Berlin Art Week an ihrem Erfolg scheiterte, sprich zu voll war um sich der Kunst zu widmen, bietet sich ein zweiter Besuch an, idealerweise mit viel Zeit im Gepäck. Denn ein gut Teil der interaktiven und rechnergestützten Exponate der technisch aufwändigen Schau muss erst geduldig erkundet werden, neben einer Reihe von nicht minder Zeit beanspruchenden filmischen Aufnahmen meist dokumentarischen Charakters. Die vier beteiligten Kuratoren entwickelten ebenso viele Kategorien um die 44 Künstler hinsichtlich der spezifischen Medialität ihrer Werke zuzuordnen. Im Zentrum stehen Werke, in denen die Rezipienten integriert werden, ob in einer Reihe von Arbeiten, die auf Spiegeln basieren oder die Video- oder Computertechnik erfordern. Diese Werke decken sich mit den beiden Kategorien "Closed Circuit" und "Game Art". Die in ihrer Formulierung sehr offen gehaltene Kategorie "mediale Schwelle" thematisiert im Kern den Aspekt Simulation und "Partizipation" zielt auf die den Betrachter integrierenden künstlerischen Aktionen ab. Dieses Spektrum an Themen und darin verankerten Werken referiert auf die Grundannahme einer Wirklichkeit, die nur als mediales Konstrukt existiert und durch die aktiven Wahrnehmungsvorgänge des Einzelnen innerhalb spezifischer Gegebenheiten generiert wird. So stehen am einen Ende der Schau Werke die eine grundsätzliche Reflektion des Wechselverhältnisses Rezipient und Medium/Werk/Wirklichkeit ermöglichen und am anderen explizit medienkritische Arbeiten, im Sinne eines Missbrauchs technischer Medien für massenmediale Manipulation und des Gebrauchs für militärische Zwecke, per se. Für die erste Gruppe stehen überzeugend Installationen aus der Zeit von 1969 bis 1974 von Bruce Nauman, Peter Campus, Nam June Paik und Dan Graham, deren immer noch wirksame klassische Schlichtheit auch den damals nur begrenzt verfügbaren technischen Mitteln verdankt ist. Auf der anderen Seite steht Harun Farocki mit gleich drei Filmen, die zwischen 2003 und 2010 entstanden und die sich der Visualisierung moderner Kriegsführung und Überwachungstechniken widmen. Im Falle von Farocki führt diese dreifache Präsenz zu einer gewissen Redundanz. Hier wären flankierend Kooperationsprojekte von Boaz Levin mit Ryan Jeffrey und Adam Kaplan aus 2014 spannend gewesen, wo die Thematik Farockis aus jüngerer Künstlerperspektive ideal erweitert worden wäre. Redundant und in der Mehrzahl kaum überzeugend waren auch die zahlreichen auf Spiegeln basierenden Arbeiten. Im Falle von Michelangelo Pistoletto lag dies an der Auswahl schwacher Arbeiten, schließlich gelingt doch einer Reihe seiner mit Siebdrucken von Menschen versehenen Spiegeln eine frappierende Verschmelzung von Spiegelung und Bild. Lediglich Magdalena Jetelovás zu Klängen John Cages vibrierende Spiegeloberfläche besticht in ihrer autopoetischen Kraft. Dementgegen ist Jeppe Heins rotierende Spiegelscheibe aus 2013 in nächster Nähe gänzlich banal und verspätet, was auch für andere ZERO-Nostalgiker gilt. Die Partizipationsthematik konnte sich auf den TV-Monitoren als Ersatz für Live-Aktion nur unzureichend vermitteln. Hier mag man sehnsüchtig an die "14 Rooms" in Basel zurückdenken, die diesen Sommer mit ihren Reenactments von Performances und Aktionen ein beeindruckendes Format fanden. Aber schon die Projektion von Marina Abramovic und Ulays "Imponderabilia" auf ausreichend großer Fläche wäre den vielen kleinen Monitoren vorzuziehen gewesen. Für Ulrike Rosenbachs Videoperformance "Tanz um einen Baum" hätte dafür die Bildqualität nicht gereicht, aber wie sinnig wäre hier als wirklich zeitgenössisches Pendant die Künstlerin Fang Lu mit ihrer siebenkanaligen Installation "Cinema" von 2013 gewesen, vielleicht noch begleitet von den multiperspektivischen Fotoserien Barbara Probsts? Keinen Sinn machten hingegen die Bilder Thomas Demands, deren trompe l'oeil-Effekt durch ein beliebiges Quodlibet des 17. Jahrhunderts antizipiert wurde und somit nicht zwangsläufig einen Quantensprung medialer Selbstreflektion in der Gegenwart repräsentiert. Und auch die Arbeiten von Franz Reimer oder Thomas Wrede führen an diesem Punkt nicht weiter. Zum Ende der Ausstellung franst diese schließlich aus, ein Problem das viele Gruppenausstellungen der ADK mit den weit gefassten Themen des Haus der Kulturen der Welt teilen. So kommen auf einer großen Wand die Alter Egos Bjørn Melhus aus einer Vielzahl seiner Videoproduktionen zur Geltung, der aber doch auch nicht entfernt die Illusionskraft einer Cindy Sherman bei der Verkörperung ihrer Personae erreicht, sondern doch immer wiedererkennbar er selbst ist und als lediglich kostümiert und geschminkt erscheint. Die Gespräche von Ullrich Matthes mit Schauspielerkollegen, die sich auf zehn Positionen hinter der Melhus-Wand befinden, geben dann zwar einen spannenden Einblick in das Verhältnis von Rolle und "wirklicher" Person im Theater, aber inhaltlich und medial liegt diese Abteilung eindeutig jenseits des Ausstellungsschwerpunkts. Wo sich dann noch die Musik anschließt, gewinnt man den Eindruck, als sollten möglichst alle Sektion der ADK mit einem Raumkompartiment befriedigt werden. Ist aber derartiges primär gewollt, sollte die Elastizität eines an sich spannenden Themas nicht überstrapaziert werden.
Mehr Texte von Thomas W. Kuhn

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Schwindel der Wirklichkeit
17.09 - 14.12.2014

Akademie der Künste Berlin
10557 Berlin, Hanseatenweg 10
Tel: +49 30 200 57 2000, Fax: +49 30 200 57 2175
Email: info@adk.de
http://www.adk.de/
Öffnungszeiten: Di – So 11.00 – 20.00


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