Rainer Metzger,
Maria Lassnig 1919 – 2014
Jetzt ist sie gestorben. Dass es auch Maria Lassnig treffen würde, ein Monument des Menschenmöglichen wie Picasso, war angesichts der vielen und am Ende allzu vielen Jahre, die ihr Leben erreichte, abzusehen. Mit knapp 95 ist Maria Lassnig gestorben, am gestrigen Dienstag, in Wien, der Stadt, in die sie ihrerseits schon an der Schwelle zum Alter, 1980, gegangen war, um an der Angewandten eine Professur anzunehmen. Über ihre Kunst habe ich vor fast genau einem Jahr, als bekannt wurde, dass ihr auf der Biennale von Venedig der Goldene Löwe für das Lebenswerk verliehen würde, hier geschrieben. Darauf sei verwiesen (Blog vom 11. Mai 2013)
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es“: Mit dieser beispielhaften Sentenz von Simone de Beauvoir steigt Judith Butler in ihr Werk über den „Gender Trouble“, auf deutsch ziemlich unglücklich zum „Unbehagen der Geschlechter“ gemacht, ein. Was bei der Klassikerin des Existenzialismus schon plausibel klang, musste in einer Thesensammlung, die dem Feminismus seine Essentialitäten austreiben wollte, um so mehr den Hammer hervorkehren. „Das Subjekt ‚Frau(en)’ wird nicht länger in festen oder unvergänglichen Begriffen beschrieben“ setzt Judith Butler nach: „Es gibt nämlich nicht nur eine Menge Material, das gewissermaßen die Lebensfähigkeit des ‚Subjekts’ als höchsten Kandidaten der Repräsentation oder gar der Befreiung in Frage stellt. Im Grunde herrscht auch kaum Übereinstimmung darüber, was denn die Kategorie „Frau(en)’ konstituieren sollte“. Ein solcher Konstruktivismus, wie er sich im Fall der Geschlechter längst plausibel gemacht hat, ist mehr und mehr auch in der Frage des Alterns in Erscheinung getreten. Wie es ein Geschlecht gibt, das der eigenen Identität gemäß ist, ganz unabhängig von jenem, das einem in die Wiege gelegt wurde: So gibt es auch ein spezielles Alter, in dem man sich einrichtet, ein gefühltes Alter, ein Wohlfühl-, ein Wellness-Alter, das man sich auf und in den Leib schreibt.
Videostill aus: Maria Lassnig. Kantate, Ein Film von Maria Lassnig und Hubert Sielecki. Link zu Youtube
Maria Lassnig hat diese Konstruktivismen beispielhaft und buchstäblich verkörpert. Damit hat sie sie zurückgeführt auf ihre essentiellen Grundlagen. Denn natürlich ist sie als Frau aufgetreten, und keineswegs hat sie ihr Alter verleugnet, hat es mehr oder weniger schonungslos dargelegt in ihren Bildern, die um die Physik des Leiblichen, die ihre eigene war, unermüdlich kreisten. Als Frau, als Künstlerin hat sie Karriere gemacht, und sie hat ein Alter erreicht, in dem sie erleben konnte, dass derlei Erfolge auch dem anderen Geschlecht zugänglich sind. Darin ist sie Louise Bourgeois vergleichbar. Wäre es ihr ergangen wie Eva Hesse oder Charlotte Posenenske, sie hätte diese Erfahrung verfehlt. Um sich in den Kunstbetrieb einzuschreiben, muss man so etwas wie eine Diskursformation werden, ein Topos, in dem sich diejenigen, die nach Kriterien und Kategorien suchen, gemeint fühlen können. Maria Lassnig hat auf perfekte Weise diese Kriterien und Kategorien geliefert. In einem nach wie vor von den Männern abgesteckten Parcours müssste man sagen: Es war ihr vergönnt, sie zu liefern. Sie hat erwarten können, wie die Theorie sich in ihrer Praxis langsam wiederfand.
Noch einen Konstruktivismus hat Maria Lassnig verkörpert: jenen der Konjunkturen von Städten. Sie ging, Fluch des provinziellen Österreich mit seiner wasserköpfigen Hauptstadt, in den 50ern von Kärnten nach Wien. In den 60ern war sie gerade noch rechtzeitig in Paris und in den 70ern am Puls der Zeit in New York. Dann war sie wieder in Wien, als die Stadt sich entsann, dass sie einst Metropole war. Hier brachte sich Maria Lassnig zur Kenntlichkeit als Grande Dame, Weltfrau, viel zu großes Aushängeschild für eine viel zu kleine nationale Identität. Nun hat sie all das hinter sich. Sie hat noch erlebt, wie sie von der Diskursformation zur Malerfigur wurde.
Mehr Texte von Rainer Metzger