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Selbstorganisation


Hans Peter Feldmann: Eine Firma, 108 Seiten, 25,9 x 20,8 cm, sz/w.-Offset, Klebebindung, Siemens AG, Berlin und München, 1991

Künstlerisches Verhaltensmuster oder Unternehmensstrategie?

Noch 1991 schien alles anders. Hans-Peter Feldmann porträtiert die Mitarbeiter/innen einer Firma. Schon an der Kleidung und am Umfeld wird ersichtlich, zu welchem Arbeitsbereich die Abgebildeten zählen. Es sind Bürokaufmänner, Prokuristen, Sekretärinnen, Handwerker, Monteure, Reinigungskräfte, Portiere etc. Doch wie würde eine derartige Bestandsaufnahme heute aussehen? Wer jetzt eine Soziologie des Arbeitslebens in Anschlag nimmt, der wird kaum übersehen, dass sich Arbeit mehr und mehr von bekannten Zuschreibungen löst. Sie wird nicht an Kleidung oder Habitus, sondern mehr am Maßstab freier Tätigkeit bemessen. Besteht nicht die Anforderung an Erwerbstätige von heute, sich täglich neu zu entwerfen? Belohnen nicht gegenwärtige Arbeitgeber Kreativität, Erfindergeist, Mobilität und Selbstorganisation mehr als Hierarchien, Vorschriften und Loyalitätsbekundung? Man kann diese Veränderungen auf Moden in der Mitarbeitermotivation zurückführen, auf globale Herausforderungen, steigenden Wettbewerb und immer schnelleren Wandel. Man kann sich aber auch fragen, ob diese Dynamik nicht andere Ursachen besitzt. Kann es sein, dass die gegenwärtige Faszination für den Selbstentwurf jenem Verhaltensmuster folgt, das historisch der Künstlerschaft zugeschrieben wurde? Kann es sein, dass bestimmte Prägungen des Künstlerbildes des 19. Jahrhunderts zum Leitfaden gegenwärtiger Managementstrategien wurden? Wenn dem so wäre, dann wäre auch eine Antwort auf die Frage möglich, warum künstlerische Kritik gegenüber Produktionsverhältnissen heute so zahnlos wirkt. Und warum heutige Künstler/innen, die das Ungenügen von Arbeitsbedingungen zu ihrem Inhalt machen, kaum mehr Durchschlagskraft zeigen. Das Bild des Künstlers entsteht im 19. Jahrhundert nach einem romantischen Muster. Nach dieser Vorstellung werden dem künstlerischen Schaffen besondere gesellschaftliche Freiräume zugebilligt. Im Unterschied zu den Akteuren im ökonomischen Zusammenhang nehmen künstlerisch Produktive das Recht für sich in Anspruch, Werke nach individuellen Vorstellungen zu entwerfen. Sie unterwerfen sich keinen Vorgaben, sind intuitiv in ihren Verfahren und deshalb von gewöhnlicher Arbeit freizustellen. Mit dieser Haltung ist eine grundsätzliche Kritik verbunden. Diese Kritik richtet sich im Wesentlichen gegen die Bourgeoisie, d.h. die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsträger. Gegen deren Maßgabe des Gewinnversprechens fordert die historische Künstlerposition das Recht ein, Werke herzustellen, deren einziger Zweck im Vollzug dieser Herstellung besteht. Jenen, die in den Erwerbs- und Zweckzusammenhang der Gesellschaft eingebunden sind, bleiben diese Privilegien verwehrt. Die Position des Künstlers entwickelt sich als die eines Kritikers, der sich als Außenseiter darstellt, jedoch im Kern auf eine paradoxe Anerkennung hoffen darf. Denn die Missachtung der Regeln wird am Ende dennoch als Zugewinn an Kultur geschätzt. Der Schlüssel für diese paradoxe Anerkennung ist das Konzept der Inspiration. Künstler sollen jederzeit in der Lage sein, spontanen Eingebungen und unkonventionellen Ideen zu folgen. Nun scheint aber gerade diese Vorstellung abgewandert zu sein. Während die Künstler des 19. Jahrhunderts ihr Selbstverständnis in Opposition zum vorherrschenden Unternehmensdenken entwickeln, scheinen heutige Firmen diese Ideen gerade aufzugreifen. Eigensinn und Einzigartigkeit werden als günstige Treibmittel für die Innovativkraft im wirtschaftlichen Wettbewerb betrachtet. Schaffensdrang und Individualität, die großen Selbstbestimmungsideale des Andersseins, sind zu Auswahlkriterien in den Human Resources-Abteilungen aufgestiegen. Dort aber bekommen sie eine andere Färbung. Selbstorganisation wird als Selbstausbeutung geschätzt, Eigenleistung als rund-um-die Uhr-Flexibilität, der Individualismus als Möglichkeit zur Reduktion von Sicherheiten. Kurz gesagt, die Wirtschaft bedient sich des historischen Künstlerbildes, um der Belegschaft immer mehr Risiko aufzubürden. Die Mitarbeiter/innen einer Firma, wie sie Feldmann vor mehr als zwanzig Jahren ablichtete, beginnen einander immer ähnlicher zu werden. Die meisten von ihnen arbeiten an flexiblen Arbeitsplätzen, an Laptops und in Telefonkonferenzen. Es ist ihr vorgeblicher Individualismus und die Eigenaktivität, die sie zu immer steigender Konformität zwingt. Auch für die Kunst bleiben dieser Vorgänge nicht wirkungslos. Die Künstlerkritik leidet unter dem friendly-takeover der Wirtschaft. Indem nämlich die gesellschaftliche Haltung der Künstler in das Wettbewerbsspiel der Unternehmen aufgenommen wird, wird zugleich die Möglichkeit zur Kritik am Kapitalismus seitens der Kunst herab gesetzt. Die paradoxe Anerkennung für die Außenseiter arbeitet diesmal gegen sie. Je eher sie die Eigenständigkeit suchen, desto mehr imitieren sie die Mehrheit. Am Ende werden sie selbst zur Firma.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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