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Playtime

Clean, steril und staubfrei ist das Ambiente, von jener Reinigungskraft, für die die Deutschen damals die subtile Unterscheidung von sauber und rein gut gebrauchen konnten. Wand und Boden erglänzen in makellosem Hellgrau, wenn sie nicht gleich gläsern sind, denn das Ambiente ist architektonischer Modernismus. Eine Frau mit Baby kommt vorbei, eine Gruppe von Menschen, die als Touristen ausstaffiert sind, Geschäftsleute, aber auch zwei Nonnen, Passanten, das Personal der Beiläufigkeit, dem man nicht ansieht, wo es hingehört. Tatsächlich bleibt lange in der Schwebe, welchem Zweck die purifizierte Umgebung dient, ob es Krankenhaus, Messehalle, Bürogebäude ist, bevor es sich als Flughafen herausstellt. Doch auch die anderen Funktionen werden bald bedient. Der architektonischen Form ist es ohnedies egal, denn sie bleibt im Zeitalter der Entropie auf eine einzige Bestimmung beschränkt: die Spannungsreduktion. Still: Jacques Tati, Playtime, © Jolly Film, Specta Films In Szene gesetzt ist dies in Jacques Tatis „Playtime“, jenem Film von 1967, für den er extra eine modellhafte Stadt der Anonymität, Uniformität, Modernität hochziehen ließ, der man den unpassend personalisierenden Namen Tativille gegeben hat. Tativille ist Gesichtslosigkeit, und es ist das Zentrum aller Sentimentalität, denn in dem Moment, da das triste Terrain Flughafen spielt, ist „Paris“ zu lesen. Bisweilen öffnet sich eine Scheibe in den unendlichenen Wänden aus Transparenz und eine Tür geht auf; dann spiegeln sich Eiffelturm oder Triumphbogen, Menetekel traditioneller Menschlichkeit im Raster der Gleichschaltung. Der Einbruch des Fortschritts in die Zeitlosigkeit ist Tatis Lieblingsthema und „Playtime“ ist ohne Zweifel sein Meisterwerk. Dass in den Jahren, da er seinen Film unter vielen Widrigkeiten drehte, ein gewisser Mies van der Rohe nach Berlin ein Museum setzte, dessen Entwurf zunächst als Verwaltungsgebäude von Bacardi auf Kuba gedacht war, wird dem Meister Jacques nicht bewusst gewesen sein. Aber auf seine Art wusste er es doch. „Playtime“ ist einer der Präzedenzfälle einer Kunst über den Modernismus, wie sie dann in den Siebzigern und Achtzigern Konjunktur hatte. Entsprechend wird der Film seither hofiert. Jetzt veranstalten sie im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses eine Präsentation, die den Titel im Titel trägt. „Playtime“ als Ausstellung möchte Situationen gegenwärtiger Beschäftigungsverhältnisse, wie sie in den Bildern zum Thema werden, vor- und den Typus Künstler als Prototyp von zugleich Flexibilität und Prekarität in die Mitte stellen: das einschlägige Programm. Was erstaunt ist, dass man sich Tati und seine „feinsinnige Kritik der modernen Arbeitswelt“ dabei zum Vorbild nimmt. Ausstellungsansicht Playtime: Monica Bonvicini, Anna Oppermann, Henrik Olesen, Foto: Lenbachhaus Natürlich taugt „Playtime“ als Film für jeden Feinsinn und jede Kritik, doch Arbeit ist es nicht, was Tati ins Zentrum rückt. In durchaus frühmoderner Manier macht er die Architektur zum Pars pro Toto der zeitgenössischen Umtriebe. Die Gebautheiten des orthodoxen International Style sind sein Fokus, und ihnen entlockt er die abstrusesten Gegebenheiten. Der Witz indes ist, im Gegensatz zum Vorgänger „Mon Oncle“, selten Slapstick. Er ist eher Dekonstruktion (die sich des Prinzips Witz gern vergleichend bedient hat). Es gibt kein außerhalb des Textes, der Architektur ist. Tatis Kritik spielt sich im gleichen Milieu ab wie seine kruden Episoden. Annick und Anton Herbert in Public Space / Two Audiences (1976) von Dan Graham, Photo: R. Lautwein (2006) © Herbert Foundation, Gent Das Stück Kunst, das vielleicht am besten zu „Playtime“ passt, ist gerade im Wiener Mumok aufgebaut. Es gehört zur Sammlung Herbert, stammt von Dan Graham und heißt „Public Space/Two Audiences“. 1976 konzipiert, ist es Grahams früheste Arbeit, die Architektur in den Mittelpunkt stellt, die Kombination zweier Zellen, zum Teil verspiegelt, die von einer Glasscheibe getrennt sind; beide Bereiche sind betretbar, man kann von einer Seite die Eiertänze betrachten, die das Vis-à-Vis vollführt, und so ist es eine jener Quarantänestationen, wie sie für Grahams psychophysische Befangenheiten typisch sind. Neu ist die akustische Komponente: Die so wunderbar transparente Scheibe hat ihre Opazität, denn sie schluckt den Schall. Walter Benjamin hat die Erfahrung so formuliert: „Wer sieht ohne zu hören, ist viel beunruhigter als wer hört, ohne zu sehen.“ Und genau das zeigt auch Tati.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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