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Sechzehn/Siebzehn

Meine Tochter ist letzte Woche sechzehn geworden. Das Bier darf sie sich jetzt selbst besorgen, zum Führerschein ist es nur noch ein knappes Jahr, und die Phase, da man partout die ganz große Andersheit bei sich selbst verkörpert sieht, neigt sich langsam dem Ende zu. Super. Sechzehn ist auch das einschlägige Alter für einschlägige Erfahrungen, geht es jedenfalls nach den ihrerseits gut abgehangenen Wissensbeständen des Pop. Das heißt eigentlich setzt es ein Jahr später ein. Titelseiten "Seventeen", 1. Ausgabe September 1944 und März 2014 Siebzehn nämlich ist das spezielle Alter, da die Jugend und die Kalküle des Pop-Geschäfts einander zu entdecken beginnen, „Seventeen“ hieß die 1944 erstmals auf den amerikanischen Markt gebrachte Zeitschrift, in der sich, wie Jon Savage in seiner Geschichte der Teenager schreibt, „Demokratie, nationale Identität, altersorientierte Kultur, Zielgruppenmarketing und jugendlicher Konsum zu einem unwiderstehlichen Gesamtpaket verbanden.“ Siebzehn Jahre waren auch vom biologischen Standpunkt her, jedenfalls bei gutem Willen, unbedenklich. Wenn die Beatles in ihr „I Saw Her Standing There“ mit der Zeile „Well, she was just seventeen, you know what I mean“ einstiegen oder Udo Jürgens „Siebzehn Jahr, blondes Haar“ besingt, wenn Ivo Robic scharwenzelt „Mit Siebzehn fängt das Leben erst an“ oder Peggy March weiß „Mit Siebzehn hat man noch Träume“, dann kam zum Ausdruck, dass es genau die paar Monate später waren, die einen Abgrund an Unverständnis überbrückten. Die Braven, so will es dieser Mechanismus, fangen mit Siebzehn an. Chuck Berry wiederum, der Anarchist, bei dem sich alle bedienten und der in ihrer aller Schatten blieb, hatte eine „Sweet Little Sixteen“ im Gepäck. Das war ein entscheidendes Stück zu jung, doch Berry landete dann auch im Gefängnis. In der erfolgreichsten Schmonzette der Sechziger, „The Sound of Music“, der Story um die Salzburger Trapp-Familie, die den Nazis trotzt, wird der notorische Abstand mit dem Lied „Sixteen Going On Seventeen“ besungen: Es gelte ein Jahr zu warten, um nicht „totally unprepared“ zu sein „to face a world of men“. Das Hollywood-Kino wusste, worauf es ankam im Mainstream. Sechzehn war John Lennon, als er die „Quarrymen“ gründete. Man spielte in einer Besetzung, die einige Namen enthielt, die einmal berühmt werden sollten. Lonnie Donegan hat Skiffle populär gemacht und mit den einfachen Strukturen seiner Lieder und den schlichten Instrumenten, zu denen auch das Waschbrett oder der Holzscheit-Bass gehören konnten, vielen das Selbstvertrauen gegeben, Musik zu machen. „Puttin’ on the Style“ heißt Donegans berühmtestes Lied, er brachte es damit auf Platz eins der Hitparade, und es erzählt von den jungen Leuten, die nichts anderes wollen als Stil, seien sie „Sweet Sixteen“ und gingen sie in die Kirche, oder würfen sie sich im Lokal in die Brust: Sie legen sich ins Zeug in Sachen Stil. Das ist in der Tat das Versprechen, ich sehe es bei meiner Tochter: Puttin' on the Style. Irgendwann geben sie es dann wieder auf. Aber bitte so spät wie möglich.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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