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Krim

Es ist völlig klar, dass angesichts der Ereignisse in der Ukraine nicht nur die Öffentlichkeit der Welt, sondern auch sein Pars pro Toto, der Kunstbetrieb, reagieren müssten. Und es ist völlig klar, das dieser Kunstbetrieb in seinem Opportunismus nicht so reagieren wird wie er es mit der Moral, die er diskursiv vor sich herträgt, an den Tag legen müsste. Es wird also nicht die nächste Manifesta, und das wäre das Mindeste, boykottiert werden, natürlich wird man Putins, des momentan letzten Zaren, kulturelles Hauptquartier, die Eremitage, eifrig bestücken. Schließlich ist man geladen. Aber das kennen und wissen wir, und so bleibt einem nichts anderes übrig als die Flucht in die Vergangenheit, jene Domäne des gut Abgehangenen, mit deren Hilfe man immer schon alles verstehen konnte. Und wie sagt die Weisheit der Alten: Tout comprendre c'est tout pardonner. Hier also ein Lichtbild, das alles und nichts zeigt. Roger Fenton hat es gemacht, während er als Berichterstatter im Jahr 1855 den Krimkrieg besucht hat. Sewastopol ist zu sehen, oder auch nicht, Fentons Foto gehört in jene Reihe von zum ersten Mal in dieser Aktualität stattfindenden Berichten von Augenzeugen, die als eine Art Reporter vor Ort waren. Der Krimkrieg, den die Russen gegen das Osmanische Reich führten, das wiederum bald von den europäischen Mächten unterstützt wurde, ein Krieg also, der eine ähnliche Konstellation aufweisen würde, käme es, was Gott verhüten möge, jetzt zu einem vergleichbaren Konflikt, dieser Krieg war insofern der erste moderne, als sich die Frontberichterstattung durchsetzte. Die Theorie war wie immer weiter als die Praxis, und so ist auf Fentons hautnaher Bildreportage vom Schlachten bestenfalls zu erahnen, was passiert. Dass es blutig zuging, weiß man unter anderem von Florence Nightingales Aktivitäten, der seligen Schwester, die begann, jene unmittelbare Hilfe zu organisieren, die beim nächsten Blutbad, dem Gemetzel in Norditalien um 1860, zum Roten Kreuz führte. Fenton und seine fotografische Technik können vom vehementen Aufeinander noch wenig zeigen, doch die seltsame, spukhafte Leere ist womöglich beredter als das meiste, was fortan, dank der Belichtungszeiten, explizit werden wird. Ebenfalls hier Fentons vielleicht berühmtestes Foto. Es zeigt eine Zielscheibe, sie wurde um 1860 in England im Doppelsinn geschossen, und sie ist natürlich ein Paradefall an Abstraktion und Modernismus und Avanciertheit und was man diskursiv an derlei Motiven so herausstellt. Fenton war längst zurückgekehrt in die Splendid Isolation der Insel, das Zielen, Treffen, Durchbohren war nur noch sportiv gemeint, und alles war wieder soweit in Ordnung. Das mit der Krim ist Episode geworden, und wenn weit hinten in der Türkei die Völker aufeinander schlagen, steht man, wie schon Goethes Faust Bescheid wusste, gern am Fenster und trinkt sein Gläschen aus. Mit Behagen dann auch auf Vernissagen.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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