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Mary Quant

Die Swinging Sixties beginnen in den Fünfzigern. Mary Quant, die Mutter des Minirocks, eröffnet ihre erste Boutique, „Bazaar“, im Jahr 1955 an der King’s Road in Chelsea. Terence Conran, der später die modische Gesellschaft in seinem „Habitat“-Laden, ebenfalls in der King’s Road beheimatet, mit Designer-Möbeln versorgen wird, fängt im Jahr 1953 mit einem Restaurant am Trafalgar Square an. 1957 wird er dann Mary Quants zweites Geschäft, in Kensington lokalisiert, ausstatten. Vidal Sassoon wiederum, der Erfinder jener pflegeleichten, an die Kopfform perfekt angepassten Frisuren, in denen sich das Weltraumzeitalter widerspiegelt, beginnt im Jahr 1954 eine eigene Existenz in der Bond Street. Die Swinging Sixties beginnen in den Fünfzigern. Zeitlos wie sie sind, feiern sie gerade Geburtstag. Mary Quant ist am Dienstag achtzig geworden. 1964 entwirft sie ein Wollkleid, das sie besonders geschätzt hat, denn sie trägt es noch drei Jahre später selbst in einer Anzeige für ihre Schuhkollektion. Wie zu erwarten ist der Saum gehörig nach oben gewandert, übers Knie und Richtung Schenkel. Die Verarbeitung der Wolle macht das Kleid dehnbar, und es hat einen Reißverschluss, der sich vom Kragen bis zur Hüftnaht, die einen eigenen Rockteil absetzt, zieht. Während Knöpfe bei figurbetontem Schnitt unbedeckte Stellen klaffen lassen, lässt der Zip eine einheitliche Spannung des Stoffes zu, wie Quants Entwurf überhaupt an eine zweite Haut denken lässt, eine Folie, die sich über die Körperrundungen legt, sie betont und sich ihnen gleichzeitg anpasst. Das hat auch ökonomische Vorteile: Die Haute Couture, von der Quant sich programmatisch distanziert, braucht nicht nur eine Übermenge an Stoff, mit dem sie verschwenderisch umgeht, sondern auch die exakte Adaption an die Trägerin, für die dann ein Unikat geschneidert wird, ad hoc und haarscharf in der Fasson. Quants Entwürfe dagegen denken in Konfektionsgrößen und lassen Spielraum für diverse Beschaffenheiten einer Gestalt. Wer ein solches Kleid trägt, ist individualisiert und anonymisiert in einem: Ersteres durch den eigenen Körper, der sich seinen angestammten Platz schafft in einer Hülle, die sich ihm anpasst, ihm Kontur und plastische Form gibt; letzteres durch die Vorproduktion, die einen Rahmen an Größe und Beleibtheit berücksichtigt, aber automatisch abläuft. Mary Quant hat übrigens auch der Strumpfhose zu ihrer globalen Karriere verholfen – Strapse hatten sich überlebt, zum einen, weil sie nunmehr allzu schamlos sichtbar gewesen wären, und zum anderen. weil sie dem neuen Ideal der Enganliegendheit einfach nicht entsprachen. 1963 hatte sich Mary Quant mit Vidal Sassoon zusammengetan. Zunächst wollte sie etwas für ihre Models, einen praktischen Schnitt, um die Modenschauen unbehelligt zu überstehen. Dann aber legte Sassoon Hand an die Designerin selbst, und es kam zu jener fotografisch opulent dokumentierten Sitzung, an deren Ende der Bob stand – ein Kurzhaarschnitt, der der Rundung des Kopfes folgt und deswegen seine Fasson bewahrt, auch wenn sein Träger durch Schweiß und Tränen geht. Die Kopfform bleibt definiert, so lässt sich an den Spitzen spielen, und es entstehen Haarlinien, die in Diagonalen und Asymmetrien kulminieren. Sassoons Schnitte entsprechen auf perfekte Weise jenen Quants, The Look, wie man ihren Stil nannte, fand sich zur Einheit mit The Shape, Sassoons Formel. Was aus England kam, war ohnedies der letzte Schrei. Lynn Redgrave fuhr 1966 nach New York, um ihren Film „Georgy Girl“, ein weiteres Schlüsselwerk des Swinging London, zu promoten: „Wie die Leute mich anstarrten. Ich habe mein Kleid wirklich nicht kurz getragen, wie es Londoner Maßstäben entsprochen hätte, aber nach denen in New York, die weit dem 66er Standard hinterher waren“. London setzte den Weltmaßstab, speziell auch in der Rocklänge. Mary Quant hat ihn gesetzt.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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