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Philip Taaffe - Die Weltsprache des Ornaments: Ornament ist kein Verbrechen

"Kein ornament kann heute mehr geschaffen werden von einem, der auf unserer kulturstufe lebt", wütete der österreichische Architekt, Kritiker und Publizist Adolf Loos 1908 in seiner programmatischen Streitschrift "Ornament und Verbrechen" über Palmette, Eierstab, Mäander oder den laufenden Hund. Man spare Geld und Arbeitszeit, wenn dieser formale Zierrat aus der Kultur verschwinde. Das kämpferische Buch war in moderner Kleinschrift gedruckt. Hier führte der Autor seinen Krieg ursprünglich gegen geschmäcklerische Verwerfungen des Historismus und Jugendstil – den er scheinbar gewonnen hat. Die Moderne in Bauten wie Bildern erscheint nämlich bis heute als bereinigte Geometrie. Aber wie steht es um Theo van Doesburgs musterhafte Quadratrekonstruktionen? Wie um die Industriestillleben aus Fabrikprodukten der Neuen Fotografie? Dumm zudem, dass Loos ziemlich formalistisch dachte und konzeptuelle Fragestellungen komplett vernachlässigte. Übrigens ebenso wie die meisten derer, die sich auf ihn beriefen. Heute ist die Situation eine andere. Ein umfassenderer Begriff des Ornaments erlaubt eine neue Sicht auf die Dinge. Dass das so ist, verdanken wir auch dem amerikanischen Künstler Philip Taaffe. Der 1955 geborene Maler, der bei Hans Haacke studierte, beweist mit seinen Arbeiten, dass sogar eine neue Kulturstufe betreten werden kann – mit dem Ornament. Davon kann sich der Besucher des Neuen Museums in Nürnberg überzeugen. Und zwar extrem verdichtet anhand von nur fünf großformatigen Arbeiten, in pointierter und überzeugender Darbietungsweise. Die Werke stammen aus der Sammlung des Kölner Galeristen Rafael Jablonka und der Cit Art Foundation, und das Nürnberger Institut, das durch seine kreative und dynamische Sammlungsarbeit einen hohen Attraktivitätsfaktor aufweist, bietet einen schönen rechteckigen Raum auf, in dem sich konzentriert die höchst intelligente Arbeit Taaffes mit Ornamenten erleben lässt. Übrigens ein ziemlich einmaliges Unterfangen in Deutschland, denn der Künstler, der unter anderem von Gagosian und Luhring Augustine vertreten wird, war zwar schon einmal 2008 retrospektiv in Wolfsburg zu sehen. In den Museen dort fehlt er jedoch, sieht man von der Hamburger Kunsthalle, dem Kunstmuseum Wolfsburg oder der Sammlung Goetz ab. Den Auftakt der chronologisch gehängten Arbeiten bildet "Martyr Group" von 1983. Das Material dieser Collage ist, man glaubt es beim ersten Hinsehen kaum, eine Reihe identischer Zielscheiben, die Taaffe bei einem Altpapierhändler fand. Es sind Umrisse eines männlichen Körpers bis zur Hüfte, die in fünf Reihen ins Quadrat des Bildes gebracht wurden. Betritt man den Raum, so denkt man – als christlich sozialisierter Mensch – sogleich an Heiligenscheine, die um die Köpfe von elf der insgesamt 28 Figuren helle Kreise ziehen. Doch weit gefehlt: Die Polizei maß damit die Treffsicherheit. Jedes Körperteil ist wie ein Bausatz filetiert in bezifferte Sektionen. Die Zielscheiben durch echte Menschen, außerhalb des Trainings der Ordnungshüter, ersetzt, und schon gefriert einem das Blut in den Adern. Und wenn man dabei noch an rumänische Heiligendarstellungen erinnert wird, in denen Gruppen von Märtyrern auf der Kirchenwand zu einer Demonstration menschlichen Leids zu Ehren Gottes aufgereiht sind, wird das Bild geradezu unheimlich. Taaffe begann in den 80er-Jahren als Appropriation Artist, was die Ausstellung richtigerweise ausspart. Er beschäftigte sich zunächst vor allem mit Bridget Riley, aber auch mit Barnett Newmans bedeutsamen Zip-Paintings. In dieser Zeit zeigte er seine Liebe zu Kunstwerken durch Annäherung und leichte Verfremdungen, in dem die Zips etwa aus Kordeln und nicht wie bei Newman aus reinen Farbflächen bestanden. Das war die Keimzelle für den Blick über alle Grenzen. Der vielgereiste Taaffe zitiert, arbeitet ein und paraphrasiert bis heute. "Sanctuary" (2002), das Allerheiligste, ist eine unverhohlene Hommage an Paul Klee. Das dunkeltonige Bild strukturieren drei Reihen roter Zeichen, deren Bedeutung sich nicht erschließt. Sie werfen gelbe Schatten, und vor dem blau-grünen, amorphen, teils von Flechten rhythmisierten Hintergrund heben sich diese in einem verwirrenden dreidimensionalen Effekt ab. Kalkuliert ist dieser Budenzauber, aber er macht Sinn mit Blick auf die Referenzen. Das geht so weit, dass es ein innerbildliches Kalkül ist, wenn Formen im Bild nach einem auf die Fläche bezogenen Prinzip wie Motive und Themen in einer Fuge gespiegelt, gewendet, gedreht werden, etwa in "Megalopolis" (1996), dem mit knappen zehn Metern Breite größten Bild. Allen Zierschmuck-Experimenten ist gemein, dass sie Referenzen zu anderen Kulturgütern aufweisen. Taaffe kombiniert rumänische Religiosität mit Buddhismus, Antike mit Entdecker-Biografien. Und sie überschreiten niemals ihre Fläche, wie etwa im All-Over-Rapport eines Jackson Pollock. Das Fantastische ist die Kombination aus Sehen, Entziffern und Interpretieren von übergeordneten Sachverhalten in den Bildern. Mit dem Ornament. Das ist in dieser Weise einzigartig und lockt, eine Revision der Moderne anzugehen. Vielleicht ist der erste Schritt, sich in Nürnberg einmal ganz konzentriert mit diesen fünf außergewöhnlichen Bildern auseinanderzusetzen, um mit Markus Brüderlin, der an der Retrospektive 2008 mitgearbeitet hat, zu erkennen, dass die Moderne durchaus von Zügen der Ornamentalität geprägt ist.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Philip Taaffe - Die Weltsprache des Ornaments
27.09.2013 - 06.04.2014

Neues Museum - Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg
90402 Nürnberg, Klarissenplatz
Tel: +49 911 240 200, Fax: +49 911 240 20 29
Email: info@nmn.de
http://www.nmn.de/
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 h


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