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Lenin : Eisbrecher: Kunst im Duell mit einer unsichtbaren Gefahr

Im Kunstbetrieb stehen derzeit die Beziehungen zwischen Wien-Moskau unter dem Vorzeichen kunsthungriger russischer Investoren. Der Immobilienmagnat Dmitry Aksenov ist seit 2013 der Hauptinvestor der Wiener Kunstmesse Viennafair. 2013/2014 wird Vice Versa der kulturelle Austausch in russischen Städten forciert. Die dafür programmierte Österreichische Kultursaison will nicht nur den österreichischen Kultur-Export, sondern die Vernetzung mit russischen Kunst- und Kulturschaffenden intensivieren. Das in Kooperation mit der 5. Moskau Biennale für zeitgenössische Kunst auf Initiative von Simon Mraz mit Stella Rollig vom Museum Lentos Linz in Angriff genommene Projekt „Lenin: Eisbrecher“ findet in Murmansk statt. Weitere Stationen sind Linz und New York. International in die Schlagzeilen gelangte die nördlich des Polarkreises liegende Hafenstadt durch ihre enorme Konzentration an Atomreaktoren und erhöhte Belastung an Radioaktivität. Altlasten der einst über 200-Atom-U-Boote umfassenden Sowjetmarine harren hier ihrer Entsorgung. Als erster Atomeisbrecher der Welt steht der 1957 in Betrieb genommene Eisbrecher Lenin für das Flashback einer uns heute zum Verhängnis werdenden Ideologie des Fortschritts. Als Treffpunkt für Zeitgeschichte diktierende Verhandlungen zwischen Richard Nixon, Nikita Khrushchev oder Fidel Castro wurde er auch zum Symbol des Kalten Krieges. Seit 2009 ist das 16.000-Tonnen-Schiff unter dem Kommando des Kapitäns Alexander Barinow und seiner Crew ein Museum. In ihren teils speziell für den Eisbrecher Lenin produzierten oder adaptierten Installationen, Videos, Skulpturen und Zeichnungen greifen die am Projekt beteiligten KünstlerInnen wie Tamara Suewa, Anna Titowa, Alexandra Sucharewa, Marko Lulic, Sonia Leimer/Gerhard Gruber, Taisia Korotkowa, Michael Strasser, Wladimir Kondratew oder Swetlana Gabowa skeptisch historische, machtideologische oder ökologische Fragestellungen auf. Die KünstlerInnen scheuen dabei auch nicht die Gefahr einer Zensur wie Johanna und Helmut Kandl. In der Konzeption ihrer Installation „LEDO CALL A conference“ (2013) persiflieren sie die Spionageaktivitäten des Kalten Krieges durch ein Kartenspiel. Gezeigt wird die Installation trotz heftiger Proteste allerdings in einer zensurierten Version ohne Namen der Spione. In seiner an einer massiven Kette befestigten Ankerskulptur „Befangen“ (2013) thematisiert Alexander Powsner die Ambivalenz des Ineinanderwirkens von Vergangenheit und Zukunft für die Erstellung neuer Wertkategorien. Judith Fegerl gestaltet mit ihrem „Temporal Deflector“ (2008) an Board ein „iocochronometrisches“ System indem sie kreisförmig sechzig Magnetspulen um den Kompass gruppiert. Der Kompass wird infolge zum Chronometer einer linear-metrischen Zeitlichkeit und maschinell generierten Unendlichkeit umfunktioniert. Sonia Leimers Video „Novaya Zemlya (New Land)“ (2013) dramaturgisiert die ideologiebefrachtete, heroische Selbst-Historisierung des Eisbrechers Lenins durch analoge in einem Filmarchiv in Moskau entdeckte Filmaufnahmen. In ihrer digitalen Bearbeitung trennt Sonia Leimer die Bildebene von der Sprachebene und montiert eigene Aufnahmen ihrer Reise nach Murmansk dazwischen. Mittels Über- und Unterbelichtungen und dadurch bewirkte Brechungen visualisiert sie hinter Ideologien verborgene Unsicherheiten. Das Video „Vladimirs Reise“ (2013) von Isa Rosenberger zeichnet das Portrait des sowjetischen Kapitäns Vladimir K. in einem Seniorenheim in Brighton Beach. Zwischen das Porträt eingeblendet ist der Negativfilm von Archivaufnahmen der Diskussion des sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow mit dem damaligen US-amerikanischen Vizepräsidenten Nixon, die 1959 über die Vor- und Nachteile des Kommunismus und Kapitalismus vor laufender Kamera geführt wurde. Individuelle und historisch kanonisierte Geschichtsschreibung prallen aufeinander. Den erneut entflammten Kampf um die Ressourcen der Arktis visualisiert der Konzeptualist Leonid Tishkow pointiert in seiner Zeichnung „Flag of free arctic“ (2010). Die interaktive Lichtinstallation „IRX272“ (2013) von Alexander Lysov ist in 272 Zellen unterteilt in der sich eine computergesteuerte 250 Watt-Infrarotlampe befindet. Um die Kugel sind Abstandssensoren montiert, die darauf reagieren, wenn eine Person nähertritt und die Kugel zum Glühen bringen. Ebenfalls mit den unsichtbaren Gefahren der Radioaktivität befassen sich Igor Makarewitsch und Elena Alagina in ihrer Installation „The Academy of the Atom“ (2013). Als ambitoniertes und für alle Beteiligten riskantes Kunstprojekt schürt das Projekt „Lenin: Eisbrecher“ gleichzeitig Erwartungen, dass die Durchlässigkeit von Kunst auf das Leben auch realpolitische Konsequenzen in Russland zeigt. Die Freilassung der Pussy Riots bringt einen Funken Hoffnung.
Mehr Texte von Ursula Maria Probst

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Lenin : Eisbrecher
18.09.2013 - 10.01.2014

Arktisches Ausstellungszentrum Eisbrecher Lenin
Murmansk, Portowij Proezd, 25


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