Martin Fritz,
Regentage als Potenzial: Kinder und Museen
Es ist ja immer etwas zu offensichtlich, wenn es Kulturschaffende danach drängt die Erlebnisse mit ihren Kindern zum Stoff ihrer Arbeit zu machen. Doch: »Das Private ist das Politische« hallt es noch nach aus den 1970er Jahren und wir paraphrasieren, dass das Private auch das Berufliche wird, wenn der Vater professionell Kunstinstitutionen über die Schultern blickt und die Kinder mit müssen! Wenn dann noch die Saisoneröffnung der Spielzone im Wien Museum, der Kinderaktionstag im MUMOK und der fünfte Geburtstag des Älteren in eine Woche fallen, muss das Thema wieder einmal sein.
Doch nicht nur weil während des Schreibens der erste Schnee fällt, wird Milde diesen kleinen Rückblick auf fünf Jahre verschiedenster Museumsbesuche mit Kleinkindern dominieren. Vorausgeschickt werden muss, dass der Autor über eine beträchtliche Erleichterung verfügt, die der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen sollte: Als Mitglied einer internationalen Museumsvereinigung (ICOM) wird ihm für einen Jahresbeitrag von Euro 80 in fast allen Museen freier Eintritt gewährt. In Verbindung mit dem freien Eintritt für unter 18jährige liegt darin ein unschätzbarer Vorteil. Der Schlüssel zum erfolgreichen Museumsbesuch mit Kindern liegt nämlich darin, diesen auch nach kurzer Zeit abbrechen zu können, wenn es einmal nicht so klappt, oder wenn anfängliches Interesse – zum Beispiel wegen eines furchterregenden Fisches im NHM – plötzlich in laute Abwehr umschlägt. Die wichtigste Forderung sei daher gleich zu Beginn erhoben: Wenn man Familien mit Kindern und Anhang öfter erreichen will, muss der freie Eintritt auf die Begleitperson(en) – wenn nicht gleich auf die gesamte Bevölkerung – ausgeweitet werden.
Denn gerade in der Alltagsnutzung und in einer unkomplizierten Inanspruchnahme von Museumsräumen für unspektakuläre Zwecke, wie dem Zeitvertreib an einem Regentag, liegt das Potenzial für ein Verständnis von Museen als öffentlichen Räumen, die reicher an Erfahrungsmöglichkeiten und zugleich gastfreundlicher sind, als jene Kinderkonsumorte, in denen unsichtbare Magneten auch noch die letzte versteckte Münze aus den Eltern- Onkel-, Tanten-oder Freundesgeldtaschen ziehen. Und als solche öffentlichen Räume haben sich Museen grosso modo bewährt. Der Kinderwagen war überall willkommen, stereotype Disziplinierungen durch Aufsichtspersonal gerieten zur Ausnahme, laufende Kinder waren sogar im KHM – im Sicherheitsabstand zur Kunst – in Ordnung und die WCs waren überall sauber.Wir konnten uns häufig freuen und selten gab es Grund sich zu ärgern, wie etwa über jene Münzautomaten, die ausgerechnet am Ausgang eines Kinder- und Jugendtheaters stehen, oder über jenes – etwas motzig formulierte – Merkblatt mit »Regeln«, mit dem sich das massiv vom öffentlich finanzierten Spielbereich profitierende Café im Wien Museum seit neuesten an die »lieben Mamas & Papas & Begleitpersonen« wendet, nachdem es scheinbar ein paar mal gebeten wurde Babynahrung aufzuwärmen. Doch abgesehen von solchen Ausnahmen wollen wir hier nicht zu jener Elternspezies mutieren, die sich vor allem dort gerne beschwert, wo ohnehin bereits einiges angeboten wird.
Überraschend an den letzten Jahren war, dass es eher selten die dezidierten Kinderprogramme waren, die wir frequentierten, sondern dass der Reiz häufig in den überraschenden räumlichen oder programmatischen Gegebenheiten lag, die große Kulturinstitutionen bereit halten. Die menschenleeren Raumfluchten der neuen Hofburg mit ihren hunderten Rüstungen wurden so zu einem Luxusort für die ritteraffinen Bälger und in der ehrwürdigen Schatzkammer ertönten bisweilen »Cool« Rufe, bei der einen oder anderen Krone. Doch auch die zeitgenössische Kunst hielt immer wieder Überraschungshits bereit, die zum elterlichen Bildungsgewinn beitrugen. So führte zum Beispiel die Dino-, Felsen, Bagger- und Hubschrauberdichte in Robert Smithsons »Spiral-Jetty«-Film zu einer unvorhersehbar entspannten Stunde im MUMOK, da der damals Vierjährige, auf einem Sofa liegend, zweimal auf der volle Videolänge beharrte, während die Zweijährige mit den Materialien werkte, die sie im Kinderrollkoffer gefunden hatte. Gerade jene MUMOK-Box mit den Kindermaterialien zeigt dabei, dass es nicht nur um die temporären Workshops und die speziellen Aktionen geht, die die Kindertauglichkeit eines Hauses definieren, sondern ebenso um jene ständig verfügbaren Tools – vom rollenden Kinderstuhl im Pariser MAc/VAL bis zum »Kinderkunsttransporter« im MUMOK –, die auch den Eltern einen reichhaltigeren Besuch ermöglichen. Kommen dann noch freundlichen MitarbeiterInnen und die vielen Sonderaktivitäten dazu, die Woche für Woche in den öffentlichen Kulturinstitutionen zur Verfügung stehen, muss das Fazit des habituell kritikbereiten Vaters im Grundsatz positiv ausfallen.
Doch es bleibt viel zu tun, und hier liegen die Aufgaben des nächsten Jahrzehnts: Nachdem die Kinderkunstvermittlung sich durchsetzen konnte, müsste es dem Museumsbetrieb gelingen, diese Haltung radikal auf andere Anspruchsgruppen auszudehnen. Die spezielle Aufmerksamkeit gegenüber Kindern und Jugendlichen, oftmals delegiert in intern ghettoisierte Abteilungen, muss in eine umfassende Aufmerksamkeit eingebettet werden, die die gesamte Institution erfasst und die allen zu Gute kommt, die gesellschaftliche Ermutigung und Fürsorge brauchen.
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1 Posting in diesem ForumZugang
Günter Stickler | 26.11.2013 09:39 | antworten
Völlig richtig: Für Familien mit Kindern wächst sich ein Museumsbesuch heutzutage schnell zur Großausgabe aus. In meiner Kindheit war jeden Sonntag der Eintritt in die Bundesmuseen frei. Deswegen waren wir auch fast jedes Wochenende dort. Die jetzige Kulturministerin hat es nicht einmal geschafft, ihr Versprechen von einem einzigen freien Sonntag im Monat einzulösen ...
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