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Der Interakteur

Die Frau ist jung, die Frau sieht gut aus, und die Aufforderung ist unmissverständlich. Man soll der Schönen an die Oberweite gehen, und weil der männliche Begleiter nebenan offenbar auch nichts anderes will - jedenfalls kommt die Ermunterung aus der Flüstertüte, die er bei sich trägt -, greift man eben zu. Kunst ist es auch noch, wer will oder kann, mag sich an Louise Bourgeois' Grafik erinnern, auf der ein sehr weiblicher Unterleib und als Oberkörper ein Kubus gezeigt sind. Dass das handgreiflich Werden angesichts der Konstellation etwas Konventionelles hat, etwas Affirmatives und Klischees Bestätigendes darf man als Zusatz in Gestalt von Pop verbuchen. So ist das Tapp und Tastkino der Valie Export aktenkundig geworden für die Geschichte der Aktionskunst, und Peter Weibel, der Ausrufer, mit ihr. Noch jemand ist in die Geschichte eingegangen. Es ist der Typ, der sich dabei hat fotografieren lassen, als er der Dame in den Brustkasten fuhr. Eine Art Parka hat er an, eine Mütze auf dem Kopf, er ist ein wenig übergewichtig, die Nase ist ziemlich ansehnlich, die Haare gehen übers Ohr, und Koteletten trägt er durchaus stattlich. Er sieht nicht unsympathisch aus, im Vertrauen auf die Tunlichkeit seines Gebarens blickt er seinem Gegenüber ins Gesicht, das sich indes bemüht, nichts zum Ausdruck zu bringen. Ganz Auge verweigert Valie Export einen Blick. Seit Manet weiß man, was sich gehört. VALIE EXPORT, TAPP und TASTKINO, 1968, Foto: Werner Schulz, © Bildrecht, Wien 2013 Das Tapp und Tastkino wurde am 14. November 1968 auf die Straßen Münchens getragen. 45. Geburtstag feiert es jetzt, und als Hommage an das damalige Geschehen soll es hier um den Typen gehen, der mit drauf ist auf den Fotos von damals. Und wie die Dokumentationen unabdingbar dafür sind, dass das, was sie zeigen, in die Geschichte eingeht, so ist auch der Typ unabdingbar, der mitmacht und dafür alle Ressentiments auf sich zieht - als Vertreter des Juste Milieu, des Common Sense, jenes gesunden Volksempfindens, das zu entlarven die Kunst bekanntlich von jeher angetreten ist. „Ein unbekleideter, nur mit einer Spiegelbrille ausgestatteter Mensch stand vor einer weißen Wand. Jeder Besucher erhielt beim Betreten des Raumes eine Karte mit einer viersprachigen Anweisung 'Sie erhalten DM 500,- in bar, wenn Sie das Ziel treffen', auf die ein Wurfpfeil geklebt war, den er aus einer bestimmten Entfernung auf den vor der Wand Stehenden werfen konnte. Dieser versuchte, dem Wurfgeschoß auszuweichen. Der elfte Werfer traf ihn und erhielt die ausgesetzte Belohnung von DM 500,- ausbezahlt“. So hat Flatz, der Münchner Aggressions- und Autoaggressionskünstler, seine Performance auf der Europa '79 beschrieben. Auch hier mussten gewisse Typen mitmachen, zumindest elf von ihnen. Zur Geschichte gehört, dass der Siegschütze am nächsten Tag das Geld zurückgeben wollte. Und zum Erfolg der Aktion gehört, dass ihm die Rückgabe verweigert wurde. Flatz, Treffer, 1979, © Bildrecht, Wien 2013 So machen sie mit, die Interakteure, auf dass die Interaktion gelinge. So reden sie mit den Worten von Tino Sehgal oder hören zu als überraschte, als übertölpelte Passanten. So zwängen sie sich vorbei an den nackten Körpern von Abramovic/Ulay und lassen sich erfassen, wie sie entweder der Frau oder dem Mann von vorne begegnen. Und so tun sie stets aufs Neue unbedarft bei den Wiederaufführungen, den Reenactments, die gerade Konjunktur haben . Der Mann mit der Mütze heißt übrigens Ed Sommer. Auf der Website www.edsommer.de ist ein Foto von ihm aus dem Jahr 1969 zu sehen, hier kann man die Konterfeis vergleichen. Sommer ist selber Künstler, und er kam nach München aus Anlass des „1. Treffens Europäischer Filmemacher“. Am Stachus griff er dann zu. Heute soll er dafür die Würdigung ernten.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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