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Entartete Kunst

Was soll man sagen zu dem als Sensation gehandelten Fund von diversen Belegstücken der klassischen Moderne, der gerade die Runde macht? Dass man nichts Genaues weiß und die Staatsanwaltschaft, die sich durch einen Pressebericht zur Stellungnahme gezwungen sieht, auch alles unternimmt, um weiter nichts wissen zu lassen, mit für alle Beteiligten beleidigend schlechten Abbildungen und losem Daherreden? Dass eine von modernistischer Ware längst gesättigte Wahrnehmung das jetzt auch nicht unbedingt gebraucht hätte? Dass Rechtsanwälte in der ganzen Welt schon mit den Hufen scharren, um potentielle Rechtsansprüche abzugrasen, die sie dann lukrativ verdauen können? Um mit Bruno Labbadia zu sprechen: Die Sache wird hochsterilisiert. Nehme ich die Angelegenheit zum Anlass, um ein wenig was für die Allgemeinbildung zu tun. Anbei also einige Stichpunkte zum Ausgangspunkt der Causa Gurlitt: jener Schandausstellung „Entartete Kunst“, mit der die Nazis einmal mehr unter Beweis stellten, welch Ungeisteskinder sie waren. Am 18. Juli 1937 wird das Haus der Deutschen Kunst eröffnet, das noch heute an der Münchner Prinzregentenstraße steht. Am Haupteingang ein bronzener Adler und links und rechts davon zwei Plaketten mit jeweils einem Zitat Adolf Hitlers: „Kunst ist eine erhabene und zum Fanatismus verpflichtende Mission“, getan auf dem Reichsparteitag 1933, und „Kein Volk lebt länger als die Dokumente seiner Kultur“, eine Weisheit aus dem Parteitag von 1935. 15.000 Werke werden für die Eröffnungsausstellung, die dem ästhetischen Ariernachweis verpflichtet ist, eingeschickt. „Der Führer tobt vor Wut“, notiert Goebbels im Tagebuch, denn das Dargebotene ist – als wäre es nicht zu erwarten gewesen – niederschmetternd, selbst für den dilettantischen Aquarellmaler aus der Wiener Morgue. Heinrich Hoffmann, der Fotograf, wird als eine Art Kurator eingesetzt, er soll so tun, als gäbe es etwas zu retten. Da passt es immerhin, dass am nächsten Tag das Pendant auf die Menge losgelassen wird, der Antikanon zum deutschen Kanon, der Höhepunkt aller denunziatorischen Bestrebungen, die die Moderne nicht nur begleiten, sondern eine gehörige Facette von ihr ausmachen: „Entartete Kunst“ in den Münchner Hofgartenarkaden, dort, wo heute der Kunstverein sitzt, ist bis heute die erfolgreichste Präsentation zeitgenössischer Kunst. Mehr als 2 Millionen Besucher kommen, um zu einem eher geringen Teil Abschied zu nehmen von mutmaßlich unwiderbringlichen Eindrücken, und zu einem sehr großen Teil sich zu erregen, zu empören und sich körperlich und geistig emporgehoben zu fühlen angesichts der wortreich als solche verkauften Degenerationen. Der Titel leitet sich von einer Schrift aus dem Jahr 1892 ab, sie stammt von Max Nordau, der eigentlich Südfeld heißt und jüdischer Herkunft ist. Im Herbst 1933 hatte es in Dresden einen ersten Versuch gegeben, gleicher Titel, ähnliche Intention, aber es waren gerade einmal 13.000 Besucher gekommen. Ein gewisser Wolfgang Wittlich veröffentlichte dann im Frühjahr 1937 ein Buch namens „Säuberung des Kunsttempels“; das prädestinierte ihn, die Sprüche für die Ausstellung zu liefern, im Sinne der neuen Normativität Sätze von Goebbels, im Sinne der Polemik Auslassungen von Wittlich selber und im Sinne einer buchstäblichen Perversion Sentenzen der Avantgarde, um sie ins Gegenteil zu verkehren. Die Obsession eines Purismus allerdings hält Moderne und Gegenmoderne durchaus zusammen: Hitlers Rede zur Eröffnung des Hauses an der Prinzregentenstraße kulminiert in dem Wort „Reinigung der Kunst“. Am 30. Juni 1939 veranstaltete der Luzerner Galerist Theodor Fischer eine Auktion. Im Angebot standen die Exponate der Schandausstellung und weiteres aus den konfiszierten Beständen deutscher Museen. Fischer war der einzige Nicht-Jude unter den Kunsthändlern, deswegen durfte er mit den Nazis paktieren, aber er war nicht sehr erfolgreich. 125 Nummern hat der Katalog, 38 Werke sind unter dem Mindestgebot geblieben, angeblich hat ein Boykottaufruf gewirkt, der vor Augen stellte, dass der Erlös der Versteigerung eben an die Nazis gehen würde. Es ist nun nicht auszuschließen, dass sich im jetzigen Fund etwas aus Fischers Katalog wiederfindet.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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2 Postings in diesem Forum
allein...
bitteichweisswas | 12.11.2013 11:13 | antworten
die Aufarbeitung u Provenienzforschung macht die ehemaligen Besitzer auch nicht mehr lebendig...
frag-würdig
Stach | 12.11.2013 03:54 | antworten
Ich hab' den Beginn der Geschichte schon wieder vergessen: Was hat denn eigentlich - rein rechtlich gesehen - die Staatsmacht dazu legitimiert, in die Wohnung des Herrn Gurlitt einzudringen und dort herumzustöbern?

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