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Gertsch

Es ist, als hätte es das Prinzip vorher nicht gegeben. Was Franz Gertsch aus der Uralttechnik Holzschnitt gemacht hat, seit er sich Mitte der achtziger Jahre auf die großformatigen Grafiken verlegte, ist eine veritable Neuerfindung. Bis zum Ärgsten wird ausgereizt, was der Stock und das Papier materiell hergeben. Und bis zum Feinsten wird die Oberfläche ziseliert, die sich quadratmillimeterweise optische Sensationen entlocken lässt, die bis dato schlichtweg nicht existierten. Der Holzschnitt ist die älteste grafische Methode, man verbindet ihn mit dem Rohen und Rudimentären, und nicht umsonst schätzten ihn die Expressionisten für ihre Berufung auf die Grobschlächtigkeit. Dann kam Gertsch. Im Museum Burda in Baden-Baden hat er jetzt bis 16. Februar seine wohlverdiente Retrospektive. Anfangs hatte Gertsch als Fotorealist gegolten. Er war von einer künstlerischen Richtung gekommen, die sich die Idee, dass Gemälde flach wären, vom abstrakten Expressionismus lieh, den Gebrauch des Blow Up von der Pop Art und die Vorlagen, die aufs Minutiöseste ins Großformat übersetzt wurden, aus der Massenkommunikation. Als ziemlich einziger Vertreter ist Gertsch präsent geblieben, weil er die Gleichgültigkeit gegenüber einer Motivwelt, die attraktiv schien, wenn es nur viel Spiegelung und Lichtwirkung gab, nicht teilte und statt dessen Chronist war. Die künstlerische Boheme, die es sogar in der Innerschweiz gab, in der er lebte und arbeitete, wurde zu seinem bevorzugten Thema. Gertsch machte den Fotorealismus, der auf die Selbstbezüglichkeit schwor, auch wenn er vorgab abzubilden, gewissermaßen kontextuell. Hier hatte einer von vornherein einen ausgeprägten künstlerischen Ehrgeiz. Franz Gertsch, At Luciano’s House 1973, Acryl auf ungrundierter Baumwolle, 243 x 355 cm Und ein ebensolches Selbstbewusstsein. Es rankt sich eine Künstlerlegende um Gertsch, und sie besagt, es sei auf einem Berg gewesen, da er die Idee zum Fotorealisten hatte. Berge sind Orte der Berufung, und ausgerechnet die kalkulierte Coolness der Malerei, die ihn bekannt machte, wäre damit Ergebnis einer mythischen Sendung. Mit den Holzschnitten wäre diese Sendung dann ganz bei sich angelangt. Eine fast provokative Naturnähe zeichnet die Blätter aus: Naturnähe im Motiv, und man glaubt zu sehen, wie Gertsch seine Nase hineinsteckt in die Welt der Gräser und seichten Gewässer, um nur alles zu erfassen in gleichsam gottgefälliger Hingabe; und Naturnähe in der Methode, denn der Holzstock, der mit dem allerfeinsten Stichel bearbeitet wird, präsentiert in der täglichen Beschäftigung allen Sinnen, was ein ökologisch unbedenklicher Stoff ist. Franz Gertsch, Pestwurz III, 2002, Holzschnitt, 41 x 60,3 cm Der Holzschnitt ist ein delikates Medium. Speziell Gertsch scheint er auf das Triftigste zu willfahren. Denn es ist auf ihre Weise Lichtkunst, die hier entsteht, sind es die Reflexe im Wasser und die Effekte auf den Blättern, in denen sich Gertschs Virtuosität kundtut. Im Holzschnitt ist eine Inszenierung des Lichts eine Inszenierung des Nichts, denn als hell, leuchtend, strahlend werden gerade jene Stellen erfahren, die einst auf dem Holzstock unbearbeitet geblieben waren. Dank einer Meisterschaft wie jener von Gertsch kann man derlei Raffinessen gewahr zu werden.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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