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Handlungsspielraum: Verwertungsrechte nach Verkauf

Der russische Künstler Leonid Tishkov verlangte vor einigen Wochen – aus Protest gegen die Ölförderaktivitäten der Gazprom in der Arktis – erfolgreich die Entfernung seiner Werke aus der Albertina-Ausstellung »Dreaming Russia – Works from the Gazprombank Collection«. In einem offenen Brief an den Direktor Klaus Albrecht Schröder teilte er »respectfully« mit, dass Teile seiner Werkserie »Private Moon« zwar (ohne sein Wissen) an die Gazprombank verkauft wurden, diese jedoch nicht dazu berechtigt wäre, die Werke ohne seine Zustimmung auszustellen oder zu vervielfältigen. Tatsächlich eröffnet das Urheberrecht den KünstlerInnen einen relativ großen Handlungsspielraum in der Verwertung ihrer Werke, da es nicht nur zwischen (unveräußerlichen) Urheberrechten und (übertragbaren) Verwertungsrechten unterscheidet, sondern darüber hinaus auch festlegt, dass mit dem physischen Eigentum nicht automatisch auch Verwertungsrechte übertragen werden. Der fünfte Abschnitt des Urheberrechtsgesetzes steht dafür gleich unter dem eindeutigen Titel »Vorbehalte zugunsten des Urhebers« und stellt unter anderem klar, dass »in der Übertragung des Eigentums an einem Werkstück […] im Zweifel die Einräumung eines Werknutzungsrechtes oder die Erteilung einer Werknutzungsbewilligung nicht enthalten [ist].« Es ist also grundsätzlich möglich ein Werk ohne das Ausstellungsrecht zu verkaufen oder festzulegen, dass bestimmte andere Nutzungen des Werks auch nach dessen Verkauf nur mit Zustimmung des Künstlers/der Künstlerin möglich wären. Leonid Tishkov verhielt sich mit seiner Geste nicht nur solidarisch mit den in Russland inhaftierten »Arctic 30«, sondern reihte sich auch in eine Traditionslinie von KünstlerInnen ein, die sich nicht damit abfinden wollen, nach dem Verkauf ihrer Werke keinen Einfluss mehr über Verbreitung und Nutzung ihrer Kunst mehr nehmen zu können. Als eine der Schlüsselszenen einer diesbezüglichen Kunstgeschichte könnte die Aktion des griechisch-amerikanischen Künstlers Takis gelten, der 1969 eigenhändig eine seiner Arbeiten aus der MoMA-Ausstellung »The Machine as Seen at the End of the Mechanical Age« entfernte, da er mit Auswahl und Installation der Arbeit unzufrieden war. Die Arbeit aus der hauseigenen Sammlung war ohne seine neuerliche Zustimmung in die Ausstellung aufgenommen worden. Die Aktion gilt gemeinhin als Startschuss für die Aktivitäten der »Art Workers Coalition« (A.W.C.), einer Gruppe von KünstlerInnen, KritikerInnen und PublizistInnen, die sich im Jahr 1969 im Konflikt mit dem MoMA formierte, und die diesen Protest unter anderem dazu nutzte dreizehn Forderungen »gegenüber allen Kunstmuseen« zu erheben. In diesem »Statement of Demands« finden sich »klassische« Künstlerforderungen, wie jene nach einem »Verfügungsrecht über ihre Arbeiten, auch wenn diese sich nicht mehr in ihrem Besitz befinden«, oder die Einforderung von Ausstellungshonoraren, die von A.W.C. als »Leihgebühren« auch für Ausstelllungen von Arbeiten gefordert wurden, die sich nicht mehr im Eigentum der KünstlerInnen befinden. Doch nicht nur in den verwertungsbezogenen Forderungen finden sich Anklänge an aktuelle Kontroversen, sondern auch in den kulturpolitischen Ansprüchen, wie etwa nach generell freiem Eintritt »zu jeder Zeit« oder in einer Dezentralisierungsforderung nach der «die Museen bestehende Strukturen in der ganzen Stadt in vergleichsweise billige flexible Fillialen oder Kulturzentren umwandeln sollen, denen nicht der Makel anhaftet, nur den wohlhabenden Gesellschaftsschichten zu dienen.« Lehrreich ist die Lektüre auch für die Anhänger des Erfolgs des »langen Marschs durch die Institutionen«: So forderten die »Art Workers« etwa ein Folgerecht, also die finanzielle Beteiligung an Wiederverkäufen, welches in Europa mehr als drei Jahrzehnte später eingeführt werden sollte, oder eine Drittelparität für MuseumsmitarbeiterInnen in »Boards«, wie sie etwa die österreichische Rechtsordnung für die Besetzung von Aufsichtsräten zwingend vorsieht. Wer an dieser Stelle den in Wien beliebten Einwand erhebt, dass es wohl eher »um die Künstler und die Kunst« gehen sollte, sei daran erinnert, dass zum Umfeld von A.W.C. auch heutige Kunstlegenden wie Carl Andre, Robert Barry, Dan Graham, Hans Haacke, Joseph Kosuth, Sol LeWitt und (mit Vorbehalten) Donald Judd zählten, und dass A.W.C. auch die Drittelparität für KünstlerInnen in Aufsichtsgremien forderte. Letztere Forderung wurde etwas abgeschwächt etwa zum Bestandteil des britischen »Museums and Galleries Act«, der z.B. für das zwölfköpfige Board der Londoner TATE gesetzlich drei KünstlerInnen als Mitglieder vorschreibt. Ein anderer Beteiligter war der heuer verstorbene Kurzzeitgalerist und Autor Seth Siegellaub, dessen 1971 (mit dem Anwalt Bob Projansky) entwickelter Mustervertrag »The Artist's Reserved Rights Transfer and Sale Agreement« bereits mehrere Folgegenerationen von KünstlerInnen und JuristInnen inspiriert, die nach Modellen suchen, mit denen die Rechte von KünstlerInnen auch nach dem Verkauf ihrer Werke gestärkt werden könnten. Die generationsbedingte Männerlastigkeit der »Art Workers« wurde unter anderem durch das Gründungsmitglied Lucy Lippard relativiert. Die einflussreiche Kuratorin und Kritikerin sollte die politische Bedeutung von Verwertungsfragen in der Kunst in einem zeitgenössischen Text auf jene überzeugende Kurzformel bringen, die Leonid Tishkovs Intervention wieder einmal bewies: »It's how you give and withhold your art that is political.«
Mehr Texte von Martin Fritz

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